Botschaften im Eis

■ Brief aus der Arktis nach 120 Jahren vom Bremerhavener Schiffahrtsmuseum entziffert

Dem Deutschen Schiffahrtsmuseum (DSM) in Bremerhaven ist die Entzifferung eines Briefes gelungen, der die letzten 120 Jahre in einer Blechbüchse im arktischen Eis verbracht hat. „Das ist die vergrößerte Kopie eines aus sieben Fragmenten zusammengesetzten Dokuments von historischer Bedeutung.“ Reinhard Hoheisel-Huxmann vom Schiffahrtsmuseum zeigt auf ein plakatgroßes Stück Papier. Den Brief hatten Mitglieder der „Österr.-Ungarischen Arktischen Expedition, Yacht Vice Admiral Tegetthoff“ am 1. November 1873 in einer Blechbüchse verwahrt und in einer Steinpyramide auf Franz-Josef-Land deponiert. Das habe Expeditionsteilnehmer Otto Krisch in seinem 1875 veröffentlichten Tagebuch berichtet.

Der deutsche Forscher Arved Fuchs aus Bad Bramstedt ging der Sache auf den Grund. Als das militärische Sperrgebiet Franz-Josef-Land nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion für Expeditionen zugänglich war, suchte Fuchs mit Hilfe der im Krisch-Tagebuch notierten Positionsangaben die Pyramide: 1991 habe er den Steinhaufen entdeckt und – wie Huxmann es beschreibt – „zusammengefaltete undefinierbare Papierblätter“ gefunden, berichtet Fuchs.

Ein Jahr später übergab Fuchs den Fund dem Kriminaltechnischen Institut des BKA zur Identifizierung – die nach zweijähriger Untersuchung gelang. Die Entzifferungen der Jahreszahl 1873 und des Namens „Payer“ bestätigte: Der Forscher Julius Ritter von Payer war zwischen 1872 und 1874 als Leiter einer österreichisch-ungarischen Polarexpedition im Ewigen Eis unterwegs. Auf dieser Reise entdeckte er ein Gebiet, das den Namen seines Kaisers Franz-Josef erhielt. Die restlose Entzifferung der Botschaft, die sich hinter den „nach und nach erkennbaren Wörtern verbarg“, überließder BKA-Mitarbeiter dem Museum, weil er die Schrift nicht lesen konnte.

Hocheisel-Huxmann setzte die Papierfetzen zusammen. Sieben bis acht Zeilen seien an den Knickstellen verloren gegangen, aber der übrige Text decke sich mit dem Tagebuch des Nautischen Expeditionsleiters Weyprecht. Dort heißt es: „Das ganze von uns gesichtete Ländergebiet haben wir gemäß dem Rechte der ersten Entdeckung mit dem Namen Kaiser Franz-Josef-Land belegt.“ Der Chronist berichtet auch, daß die „Tegetthoff im Eis festsitze und treibe und möglicherweise aufgegeben werden müsse“.

Wie bekannt brachten sich die Polarfahrer mit Rettungsbooten und zu Fuß auf der Insel Nowaya-Semlya in Sicherheit und wurden von russischen Robbenjägern gerettet. Das einzige Opfer der Expedition war der Tagebuchschreiber Krisch, der vermutlich an Skorbut gestorben ist. H. Haastert, dpa