„Muß das Herz wärmen“

■ Für eine Minute in Bremen: Max „Goldene 1“ Schautzer mit Fernsehteam und Spende

Eine Minute. So lange dauert der Spot in der ARD-Fernsehlotterie „Die Goldene 1“, der die gute Tat der Woche zeigt. In einer Behindertenwerkstatt oder vom Essen-auf-Rädern-Auto, die mit einer halben Million aus der wohltätigen Fernsehlotterie bedacht wurden. Gestern war Drehtermin in Osterholz-Tenever: 500.000 wohltätige Mark gehen in die Egestorf-Stiftung-Altenheim. Und siehe, wer tritt da ans Bett der lägerigen Frau Schulze? Max Schautzer!

Max Schautzer kennt jeder, nur die Altenbetreuerin nicht („Helfen Sie mir!“), aber eine Dame auf dem Gang, die zwar ihr Alter nicht weiß, jedoch den Jahrgang (1909): „Da ist ja ein bekanntes Gesicht!“ Max Schautzer moderiert die Goldene 1 und hat sich mit seinen Meckie-Falten um die Augen die Herzen der Alten erobert. Für einen Tag ist er von Köln nach Bremen gekommen, für eine Sendeminute. Die gute Tante ARD. Der gute Onkel Max.

Eine Minute. Da hilft nur Werbung. Nur Werbung weiß, wie man die Leute für eine Minute Soziales bei der Stange hält, die Zapper. Ein gute-Tat-Clip also, schnelle Schnitte, aus dem Off wird ein echtes Altenschicksal erzählt, Kürzestauftritte haben Alte, die geförderten Wohngruppen für psychiatrisch zu betreuende Alte, eine Kutsche im hübschen Parkambiente der Stiftung. „Das muß das Herz wärmen,“ sagt Max Schautzer.

Fototermin im Pflegebereich „A“ wie „rüstig“. 90 Prozent Frauen. „Das Alter ist weiblich,“ sagt ein Heimoffizieller immer wieder. Die Alten waren gerade mit dem Essen fertig und werden wieder in den Speisesaal zurückgeschoben. Max Schautzer spricht für die Presse mit Frau Engel. Eine blöde Situation, Oberbürgermeister fragen so: „Bekommen Sie viel Besuch? Haben Sie einen Fernseher auf dem Zimmer? Haben Sie gewählt?“ Später, im Gruppenraum Gerontopsychiatie (Goldene-1-vergoldet), erfährt die Besuchergruppe um den Fernsehstar alles über Erna. Erna wischt derweil den Tisch. Das störe sie nicht, beschwichtigt der Heimmensch: „Erna kennt das.“ Erna guckt rüber und lächelt. Sie kennt das.

In Wirklichkeit guckt Max Schautzer genau hin. Während er das Nötige sagt. Und für die Fotos stillhält. Er ist nämlich zum Privatvergnügen hier. Die ARD bezahlt ihn dafür nicht. Irgendwie zieht es ihn zu den Alten und Gebeutelten, so oft er fährt er dahin, wo der Clip gedreht wird. „Ich will kennen, was ich verkaufe,“ sagt er. Er verkauft Schicksale – und damit Lose. In seinen Sendungen wird man nie hören, was er in den Heimen und Institutionen wirklich erlebt. Wenn eine Alte unwiderlegbar erklärt: „Schön ist es nicht, wenn man alt ist.“ Wenn eine Betreuerin vorrechnet, warum es in Deutschland keine alten Mongoloiden gibt. Für die Sendung zählt nur „das Positive“. Schon eine alte Dame, die zu viel von ihren Erbschaftsstreitereien lamentiert, fällt durchs Auswahlraster der Vorrecherche. Die Zuschauer wollen mit Freude spenden/spielen.

Zu schön allerdings kann auch ins Auge gehen. Als Max Schautzer zuletzt in Bremen war, da hatte die feine Bremer Heimstiftung Goldene-1-Gelder bekommen, und ein alter Herr erzählte Fernsehleuten und Millionenpublikum vom großen Haus, das er mal geführt hatte. Da setzte es aber reichlich wütende Anrufe bei der ARD. Dieses Bremer Heim hatte alles andere als Goldene-1-bedürftig gewirkt. So einen Fehler macht Schautzer nur einmal.

Im Rollstuhl auf dem Gang sitzt eine Alte, schmust mit einem Stück Schaumstoff und ruft unablässig „Kuckuck, kuckuck.“ Max Schautzer beklagt derweil, daß es im Fernsehn fast nichts mehr für Alte gebe (mit Ausnahme der Goldenen 1, versteht sich). Doch, die Alten sind sein Thema, er denkt darüber nach, alle seine Erfahrungen aus den geförderten Institutionen aufzuschreiben, in einem „Leitfaden“. „Da hat die alte Mutter einen Unfall, was dann?“

Und Max Schautzer wird alt, was dann? Da guckt er ganz lange schweigend und sieht alt aus. Hat er schon mal drüber nachgedacht. Weiß er aber noch nicht, was dann.

Burkhard Straßmann