Wie einst bei Vati

■ „Komm mit ins Jochen-Land“ – Glückstage in der Galerie Marsyas

Erwartungstrunken schauen die Jochen-AktivistInnen in die Welt. Ein „Wochenende der Ausgelassenheit und des Glücks“ ist in Arbeit, und damit alles auch ganz klasse wird, müssen Vorbereitungen getroffen werden. Deshalb rennt der Torsten (Alisch) flink in die Galerie Marsyas. Dort sind die zwei DJs von „le hammond inferno“ dabei, den Raum mit Blümchen- und Holzimitat-Tapeten zu schmücken, damit es so aussieht wie damals bei Vati im Partykeller.

An den Wänden relaxen bunte Covers hammondorgeldominierter Platten, die die DJs aufzulegen sich zur Lebensaufgabe gemacht haben. Schöne Mädchen im Hemd in einem Meer bunter Blumen deuten in die schöne Zukunft der frühen Siebziger. Bei der großen „hammond inferno“-Party am Freitag in der genial nostalgischen „Hafenbar“ in Mitte und am Samstag werden die DJs demonstrieren, daß die Hammondorgel ein recht wildes Instrument ist.

Davor gibt es seltsame Lesungen, eine Privat-Diashow von Jenni Zilke und vor allem großartige Super-8-Filme: Der 250 Kilo schwere Braunschweiger Mathe- und Sportlehrer Stefan Möckel präsentiert einminütige „Hobbywood“-Streifen, Torsten Alisch zeigt „Angelika“ und „The Return of Angelika“ – seltsam anrührende Berliner Familienfilme, die er auf dem Flohmarkt kaufte und sorgfältig bearbeitete. Auch in dem Hamburger Videosampler „Perlen für die Säue“ (26 Filme in 83 Minuten) ist Alisch mit einem kleinen Meisterwerk vertreten. „Spätnachmittag an der Havel“ zeigt das bunte Familienglück der Siebziger. Aufgeweckte Kinder tragen kurze Hosen und hüpfen glücklich vor der Kamera herum, Teeniemädchen beeindrucken mit Jeans mit Schlag, der dicke Papa ist stolz auf seine gelbe Ente, legt den Arm um die Mama und schwenkt ein Fahrrad in der Luft. Dazu klagt Joan Baez „We shall overcome“ – große Klasse!

Die Glücksverheißungen der Sozialdemokratie thematisiert auch und tausendmal besser als Wenzel Storch Henrik Peschel in seinem wilden Aussteigerfilm „Rollo Aller“. Sein Held, der Ex- „Goldene Zitronen“-Star Rocko Schamoni (im USA-T-Shirt) aus Hamburg, klaut ein Moped und fährt mit seinem Kumpel Daddel in die Freiheit. Dazu singt er voller toller Lindenberg-Emphase: „Jetzt hält mich keiner auf / Gegen den Staat / denn ich bin gut drauf!“ Das schockt total, ist ja auch so und wird u.a.m. ganz sicher für „ein Wochenende der Ausgelassenheit und des Glücks“ sorgen. Detlef Kuhlbrodt

Heute bis 23.10. ab 18 Uhr Galerie Marsyas, Willibald-Alexis-Str. 20, Kreuzberg; heute in der Hafenbar, Chausseestr. 20, Mitte.