: Das Parteienspektrum wird sich umgestalten
■ Wolfgang Templin zum Niedergang des Bündnis 90, zu seinem Nationenbegriff und seinem Verhältnis zur Rechten und zur Linken
taz: „Die Neunundachtziger sind da“. Mit dieser Ankündigung wird zur Zeit für ein Manifest der Rechten geworben mit dem Titel, „Die selbstbewußte Nation“. Sind Ernst Nolte, Rainer Zitelmann, Brigitte Seebacher-Brandt, um nur einige Autoren zu nennen, legitime Verwalter der Sache der Bürgerbewegung?
Wolfgang Templin: Mein eigenes Verständnis von 89 und den sich daraus herleitenden Identitäten ist ein deutlich anderes.
Wie ist es?
Ich gehöre zu der Generation der DDR, die ihre Biographie nicht von 68 trennen kann, die ihre entscheidende Bewährungsprobe aber erst zwanzig Jahre später hatte. 89 war ihr entscheidender Erfahrungsschub, mit dessen Verarbeitung sie noch heute beschäftigt ist. Das kontrastiert zu der Generation des Westens, die mit 68 bereits voll in das politische Leben gestürzt ist ...
... und 89 versagt hat?
... nicht nur. Die 68er-Bewegung hat 89 nicht in der Geschichtsmächtigkeit wahrgenommen, die das Datum hat.
Haben denn die selbsternannten 89er, die obengenannten Rechten, diese „Geschichtsmächtigkeit“ der Situation eher erkannt?
Nein. Diese Gruppe hat was anderes erkannt. Sie hat das weitgehende Versagen der 68er an diesem Punkt erkannt. Sie versucht einen Generalangriff auf die 68er, den ich nicht teile.
Wurde die Bürgerbewegung in der Auseinandersetzung der bundesrepublikanischen Rechten mit der Linken vereinnahmt?
Mein Problem ist, daß diese Kontroverse alle anderen Fragen, die sich nicht an diesen Polen orientieren, zu ersticken droht. Ich suche Chancen der Identitätsbildung, die diese Pole nicht negieren, sie jedoch auch nicht als entscheidende akzeptieren.
... und diese Chance liegt für Sie im Begriff der Nation?
So einfach ist es nicht. Ich bin nicht aus Identitätssehnsucht, nicht aus dem Bemühen, neue Fragen durch alte Gewißheiten zu beantworten, zur Nation gekommen, sondern aus dem intensiven Bemühen um eine Aufarbeitung der Vergangenheit.
Welche Bedeutung hat nationale Identität für Sie?
Für mich ist es keine vorfindliche, schon das unterscheidet mich vom rechten Lager, es ist aber auch keine als Vereinbarung schlicht herzustellende. Ein Begriff des Verfassungspatriotismus, der die geschichtliche Grundlage, auf der nationales Selbstverständnis beruhen muß, ausblendet, also nur universal ist, genügt nicht.
Was ist es dann?
Die Verbindung von beiden, ein Näherungsprozeß. Mein Ansatz ist der Verweis darauf, daß geschichtsmächtig nicht nur die NS- Zeit war, sondern auch, aufgrund ihrer Ausdehnung und Intensität, die zweite Diktatur auf deutschem Boden, die kommunistische Diktatur. Wenn ich das zur Voraussetzung nehme, bin ich bei der Habermasschen Forderung nach einem neuen antitotalitären Konsens, der die geschichtliche Erfahrung dieses Jahrhunderts nicht einseitig benennt und damit verkürzt.
Die Bürgerbewegung ist mit dem Projekt einer zivilen Gesellschaft angetreten. In diesem Projekt spielt die Kategorie der nationalen Identität keine Rolle.
Das ist richtig. Ich kann mit dem ursprünglichen Ansatz ziviler Gesellschaft eine bestimmte Ebene gesellschaftlichen und politischen Handelns erfassen und dafür Konzepte entwickeln. Dieser Ansatz hat jedoch eine Grenze, er erfaßt nicht die staatliche Verfaßtheit der Gesellschaft. An diesem Punkt komme ich auf die Nation.
Sind Sie damit repräsentativ für die Debatte in der Bürgerbewegung?
Nein, eher die Ausnahme.
Sie haben einem der zentralen Organe eines völkisch orientierten Nationalismus, der Jungen Freiheit als Gesprächspartner und Autor zur Verfügung gestanden. Sie wurden dafür von Ihrer Partei heftig kritisiert. Sie machen die Rechte hoffähig.
Ich habe auch dem Neuen Deutschland zur Verfügung gestanden. Ich habe den Eindruck, daß sich bei der Jungen Freiheit eine Entwicklung in das demokratische Spektrum hinein vollzieht.
Mit dieser Wahrnehmung stehen Sie allerdings alleine. Nach Einschätzung des Verfassungsschutzes rangiert das Blatt in einer Grauzone zwischen Rechtsradikalismus und verfassungsfeindlichem Rechtsextremismus.
Ich bin kein Spezialist der inneren Auseinandersetzungen der Jungen Freiheit, doch werden solche Positionen dort bald keinen Boden mehr haben. Darauf setze ich ...
... und geben sich klüger als der Verfassungsschutz ...
... was kein Makel ist ...
... und machen sich selbst zum Maß der Dinge.
Mein Kontakt zur Jungen Freiheit besteht nicht zu den Blattgründern und-gestaltern, sondern zu einem Redakteur, Andrzej Madela, den ich jeglicher rechtsradikaler Tendenzen für unverdächtig halte. Ob er oder Kräfte, die ich nicht akzeptiere, die Junge Freiheit bestimmen, wird sich zeigen.
Schon zu DDR-Zeiten waren die Grünen der Bündnispartner der Bürgerbewegung. Woraus resultiert nun diese Hinwendung zur Rechten?
Ich sehe keine Hinwendung zur Rechten. Ich sehe einen anderen Prozeß. Die Grünen waren ursprünglich keine linke Partei, sondern haben sich in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre dahin entwickelt. Die Ausgangsbasis war nicht rechts noch links, es war der Anspruch, eine Politik zu formulieren, die sich um die Pole Ökologie, Demokratie und Menschenrechte bewegt. Dieser Anspruch ...
... ist ein klassisch linker ...
Überhaupt nicht. Er läßt sich in sehr vielen Traditionen finden ...
Die CDU als Protagonistin der Menschenrechte, das wäre ein ganz neues Profil.
Für mich ist die CDU keine genuin konservative Partei. Ich kenne viele dort, die sich ob des Konservativismus und Klientelismus der Partei nicht wiederfinden.
In dem Maße, in dem die Bürgerbewegung die PDS als SED- Nachfolgepartei bekämpft, dokumentiert sie ihre Abhängigkeit von ihr. Denn welch anderen Sinnzusammenhang hat Bürgerbewegung noch als die Aufarbeitung der Vergangenheit?
Die Frage, welche positive Identität sich aus der Bürgerbewegung entwickeln kann, verweist auf das Dilemma, das bereits in den achtziger Jahren in der Oppositionsbewegung der DDR angelegt war. Es ist der latent oder offen vorhandene Gegensatz zwischen den Bestrebungen hin zu einer offenen und rechtsstaatlichen Gesellschaft und der linken Bewegung mit der Vorstellung eines verbesserungswürdigen und erst noch zu schaffenden Sozialismus. Was sich an diesen Tendenzen ausschließt, ist bei der Bürgerbewegung ebensowenig ausgetragen wie bei den Grünen. Die Zeit für diese Auseinandersetzung ist überreif. Würde sie geführt, käme es zu einem Differenzierungsprozeß, der Teile der historisch gewachsenen Bürgerbewegung und Teile der Grünen in einem neuen Linksprojekt sehen würde, während andere Teile dieser Bürgerbewegung mit dem anderen Teil der Grünen und Menschen, die im politischen Spektrum zur Zeit nirgens zuhause sind, auf ein politisches Projekt kämen, die sich der Links-rechts-Achse als Konstitutionspunkt entzieht.
Was wäre für dieses Projekt konstitutiv?
Ökologische Verantwortung, die Verteidigung und Umsetzung menschenrechtlicher Prinzipien und Demokratie. Und hier komme ich wieder auf die Nation als unverzichtbaren Bestandteil, weil sich der Prinzipienkatalog auf eine bestimmte Gesellschaft beziehen muß.
Lassen Sie die Nation beiseite, haben Sie die Essentials auch bei den von Ihnen als links klassifizierten Flügeln der Bürgerbewegung und der Grünen.
Das merke ich bei allen Debatten, daß es nicht so ist. Für diese ist kennzeichnend ein taktischer Pazifismus, Ablehnung der Wahrnehmung internationaler Verantwortung auch auf militärischem Gebiet, Dominanz links-emanzipatorischer Gestaltungsabsichten vor dem notwendigen breiten Kompromißangebot in die Gesellschaft hinein, was in den Fragen der Ökologie unverzichtbar ist. Sie gehen von einem dichotomischen Verhältnis von Staat und Gesellschaft aus, verwischen parlamentarische und Systemopposition, wobei letztere dominant ist. Das sind Sachen, die für mich inakzeptabel sind, weil sie das Gegenteil dessen bewirken, was man damit immer zu vertreten behauptet.
Und wo ist Ihre Position in der Parteienlandschaft angesiedelt?
Ich nehme an, daß sich mittelfristig das deutsche Parteienspektrum umgestalten und neu sortieren wird. Die konservative Rechte mit ihrer Art Nationalbezug wird sich organisatorisch verfestigen, es wird ein Linksprojekt geben. Zwischen diesen Polen findet das für mich Spannende der Zukunft statt. Welche neuen politischen Identitäten aus verschiedenen Traditionen und Werten gespeist einen neuen Bezug zueinander finden, ist keine Reißbrettarbeit, sondern ein gesellschaftlicher Prozeß, bei dem der Umbruch 89 die Funktion eines Katalysators hat.
Wieso ist die Bürgerbewegung gescheitert? War der moralische Rigorismus in der Vergangenheitsaufarbeitung ein politischer Fehler?
Das stimmt nicht. Wir sind nicht auf Abrechnung aus, setzen nicht auf Haß, sondern auf den notwendig schmerzhaften Auseinandersetzungsprozeß. Den haben sich nicht nur die Leute in der DDR ersparen wollen, aus Gründen, die ich verstehe, sondern auch die politischen und gesellschaftlichen Kräfte der alten Bundesrepublik.
Vielleicht wollten Sie den Auseinandersetzungsprozeß zu schmerzhaft gestalten.
Da ist was dran. Ich denke schon, daß wir Grenzen der Überforderung überschritten haben. Andererseits waren die Kräfte der Verdrängung und Relativierung schnell auf dem Plan. Sie sind so präsent und wirkungsvoll, daß ich mir keinen Grad von unserer Konsequenz wegwünschen kann.
Auch wenn sie vom Volk nicht honoriert wird?
Es gibt einen entscheidenden Fehler im Umgang mit der Vergangenheit. Der lautet aber nicht, den Leuten zuviel zugemutet zu haben, sondern nicht deutlicher auf die Realdifferenzierung in der alten DDR geschaut zu haben. Wir haben momentan die paradoxe Situation, daß sich die PDS erfolgreich zur Vertreterin des Ostens aufschwingen kann, während sie eigentlich die Interessen der 15 Prozent alter Kader und Privilegierter vertritt. Die Einschätzung der DDR als Unrechtregime darf nicht zu der Schablone führen, daß alle nahezu gleich beteiligt und schuldig waren.
An diesem Bild hat die Bürgerbewegung mitgemalt.
Wir haben nicht rechtzeitig genug diese Differenzierung gegen alle Gegentendenzen durchgehalten.
Nun versuchen Teile der Grünen und des Bündnis 90, die Leute da abzuholen, wo sie mittlerweile gelandet sind – bei der PDS. Sie wollen den Gutwilligen, den Reformkräften ein Angebot machen. Das, so sagen sie, gehe nur, indem man der Gesamtpartei ein Kooperationsangebot macht.
Die Voraussetzung ist richtig, die Folgerung völlig falsch. Dieses Angebot würde ich immer an Mitglieder, Anhänger und Wähler machen, allerdings unabhängig von ihrer organisatorischen Einbindung. Wenn die bereit sind, diese in Frage zu stellen, sind sie als Verbündete akzeptabel. Ich kann mir jedoch eine Form des Zugehens auf Sie über die Struktur nicht vorstellen. Da handele ich mir das Gegenteil von dem ein, was ich mir wünsche. Und ich verprelle zudem das große Potential der Nichtwähler. Ich darf nicht danach trachten, die PDS zu überholen, sondern muß mich deutlich absetzen. Dann sehe ich Chancen. Das Klientel, das wir dann erreichen, wird nicht allzu groß sein.
Wie groß?
Zwischen zehn und fünfzehn Prozent. Auf mehr kann eine Kraft, die auf konsequente Vergangenheitsaufarbeitung setzt, nicht hoffen.
Mit deutlich weniger muß sie rechnen, schaut man sich die letzten Wahlergebnisse an.
Das Scheitern der Bürgerbewegten resultiert nicht aus dem Vergangenheitsbezug, sondern daraus, daß sie ihr Politikangebot nicht hinreichend entwickelt und offensiv vertreten hat. Es gilt auch, sich von einer Reihe überzogener Konzepte zu verabschieden. Wir müssen uns deutlich und illusionslos in Frage stellen.
Das Bündnis hat eine Perspektive an der Seite der Grünen, aber nicht ohne sie. Stimmen Sie dem zu?
So stellt sich für mich die Frage nicht.
Ich stelle sie aber so.
So würde ich sie nicht bejahen. Mir ginge es darum, die Erfahrung des Aufbruchs 89 mit der Geschichte der Grünen so zusammenzubringen, daß der für mich längst fällige Prozeß der Ausdifferenzierung erfolgt.
Ausdifferenzierung kann auch Spaltung bedeuten.
Es kann darauf hinauslaufen.
Interview: Dieter Rulff
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