■ Das Portrait
: Kerstin Müller

Wenn Bündnisgrüne Personalentscheidungen treffen müssen, dann bestimmen nicht selten Flügel-, Quoten- und Ost-West-Kompromisse über Sieg oder Niederlage. Dieses parteiinterne Pokerspiel begründete schon so manche Parteikarriere. Die Wahl von Kerstin Müller zur gleichberechtigten Vorsitzenden der neuen Bundestagsfraktion paßt in das Muster. Mit der 30jährigen Juristin aus Köln wird – neben Joschka Fischer – der Proporz an der Fraktionsspitze gewahrt. Ob der Job für die langjährige Vorstandssprecherin der nordrhein-westfälischen Grünen „ein paar Nummern zu groß ist“, wie in Düsseldorf einige Parteistrategen raunen, steht dahin. Innerparteilich hat die junge Nachwuchspolitikern in den letzten Jahren ihre Bewährungsprobe auf jeden Fall bestanden. Zusammen mit ihrem realpolitischen Sprecherkollegen Wolfgang Schmitt trug sie seit dem grünen Krisenjahr 1990 wesentlich zu einer Entdramatisierung des Realo-Fundi-Streits und zur Befriedung des Landesverbandes bei. Kurzum: eine moderate Linke mit Gespür für die Erfordernisse der innerparteilichen Diplomatie.

Eine solide Kampagnenarbeit im Bereich der Asyl- und Ausländerpolitik brachte ihr Zustimmung über den linken Parteisprengel hinaus. Schrille Töne und typisch linke Sprechblasen sind ihr nicht fremd, aber im Zweifel kämpft sie im „Linken Forum“ für moderate, innerparteiliche Politikangebote, „die von links in die Mitte integrieren und damit strukturell mehrheitsfähig sind“. Programmatische Grenzüberschreitungen sind dabei im Einzelfall nicht ausgeschlossen, aber sie achtet darauf, sich vom linksgrünen Mainstream nicht zu weit zu entfernen.

Am Anfang ihres Aufstieges zur Fraktionsspitze stand eine Niederlage. Beim Kampf um Platz 1 der nordrhein-westfälischen Bundestagsliste unterlag sie Anfang des Jahres Christa Nickels vom Realo-Flügel der Partei. Diese Niederlage schmerzte. Neue Sprecherin der bündnisgrünen BundestagsfraktionFoto: taz-Archiv

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, daß Joschka Fischer, der den programmatischen „Sofortismus“ der NRW-Linken immer wieder öffentlich zu geißeln pflegt, nun eine Frau aus exakt diesem Milieu gleichberechtigt zur Seite steht. Doch der Oberrealo selbst wollte es so – zur Austarierung der innerparteilichen Machtbalance. Traum-Duos sehen gewiß anders aus, aber um den Frieden in der Partei muß sich nach dieser Wahl niemand sorgen. Walter Jakobs