■ Kerstin Kaiser und die Folgen für die PDS
: Flucht nach vorn – nur wohin?

Nun hat Gysi den Ärger! Wo „Bunte Truppe“ draufsteht, ist doch nur PDS drin (und damit eben auch MfS). Viel war in seinen Interviews von Erneuerung zu hören, der dieser Wahlerfolg zu verdanken sei. Dem Jubel folgt Ernüchterung. Wo nun die Rückkehr nach Bonn geschafft ist, wollen plötzlich fast alle PDS-Parlamentarier Katrin, pardon: Kerstin Kaiser- Nicht nicht mehr. Die Sache mußte so laufen: sich waschen, ohne naß zu werden, ist bekanntlich nicht zu haben. Auf die PDS gemünzt: „Anderer Umgang mit DDR-Biographien“ (gleich Absolution für ehemalige Stasi-Spitzel) und gleichzeitig das Sahnehäubchen eines veritablen sozialistischen Regimegegners (und Stasi-Opfers!), der in der Tradition Clara Zetkins den Bundestag eröffnet – das paßt nicht zusammen.

Nicht nur für Heym ist bei aller Fragwürdigkeit seines Engagements eine IM „Katrin“ als Fraktionsnachbarin eine Zumutung. Eine Hundertprozentige, die stolz ist, jahrelang hinter Kommilitonen hergeschnüffelt zu haben, und logischerweise weiß, daß sie niemandem geschadet hat. Die heute noch kein Unrechtsbewußtsein besitzt. Plötzlich haben auch Gysi, Direktkandidatin Luft oder die West-Linke Jelpke Bauchschmerzen, wenn Kaisers Name fällt. PDS- Sprecher Harnisch redet gar von kaum reparablem Schaden, von Spaltung der Partei. Nanu – wie das? Daß das Thema Stasi nicht bekömmlich selbst für resistente PDS-Mägen bleiben werde, weiß seit 1990, wer die Partei bei ihrem „Vorwärts immer, rückwärts nimmer“ begleitet. Abwehrstrategien waren seit jeher die Antwort der Partei – mal Harnisch-höhnisch, mal Brie-verbissen.

André Brie alias IM „Peter Scholz“ ist denn auch das Paradebeispiel für den unter den Teppich kehrenden Umgang mit MfS-Biographien von PDS-Repräsentanten. Brie mußte als Landesvorsitzender in Berlin zum Rücktritt gedrängt werden. Zu eindeutig hatte er gegen Parteibeschlüsse verstoßen, 19jährige hochrangige Spitzeltätigkeiten verschwiegen. Das kippte damals auch Gysi als PDS-Chef. Dem Parteivolk wurde es als Entlastung zugunsten seiner West-Aktivitäten verkauft. Brie schadeten seine „Aufklärungs- und Kontrolldienste“ an Kollegen und Westreisekadern nicht. Nur ein Dreivierteljahr, und er war wieder da: als einflußreicher Wahlkampfleiter.

Alles entscheidendes „Küchenkabinett“ nennt PDS-Vorstandsmitglied Karin Dörre das Duo Gysi/ Brie. Vor einem Monat wurde sie deshalb parteiintern an den Pranger gestellt – auch wegen ihrer Kritik an Kaiser. Nun sind plötzlich alle auf Dörres Kurs. Warum? Weil Gysi und Co. fürchten, daß ihnen über die Bundestagsfraktion der ganze Parteiladen um die Ohren fliegt. Denn wer IM „Katrin“ deckt, der bekommt als nächstes IM „Rudolf“ (Rolf Kutzmutz) um die Ohren gehauen, der wird an die Vergangenheit des Neu-Abgeordneten Maleuda als früherer Vertreter Honeckers im DDR-Staat erinnert. Und war da nicht auch noch was mit dem IM „Notar“?

Gregor Gysi, seit Sonntag wieder mal Hoffnungsträger seiner Partei, darf nun an Erklärungen basteln, warum sich jetzt die Fraktion mehrheitlich von der ungeliebten Kollegin Kaiser distanziert. Bis zum Wahltag war sie doch ein Nicht-Thema, das nach üblichem Schema („Augen zu und durch“) ausgesessen werden sollte. Sinneswandel im Hause PDS also? Kaum zu glauben. Eher wohl Flucht nach vorn. Frage nur: wohin? Ulrich Leidholdt