Auf der Suche nach Herz-Riesen

Vor dem Deutschland-Cup fahndet der neue Eishockey-Bundestrainer George Kingston selbstbewußt nach jenen Spielern, „die den Unterschied ausmachen“

Der Kanadier George Kingston, 55, hat an der Uni Alberta promoviert (Dr. phil.), war Cheftrainer in der nordamerikanischen NHL, Scout und Nationaltrainer Norwegens. Im vergangenen Jahr holte er mit Team Canada den WM-Titel. Seit 1. Juli werkelt er mit amerikanischem Selbstbewußtsein als Nachfolger des Pragers Dr. Ludek Bukac an der unendlichen Geschichte, das Team des Deutschen Eishockey-Bundes in die Weltspitze zu führen. „Ich suche Spieler, die spielen, um zu gewinnen“, sagt er und warnt: „Wer sich für einen Nationalspieler hält, das auf dem Eis aber nicht erkennen läßt, könnte bald keiner mehr sein.“ Als erstes, ernsthaftes Ereignis für den neuen Mann steht demnächst an: der Deutschland-Cup in Stuttgart (3. bis 6. November).

taz: Haben Sie schon ein Bild Ihres zukünftigen WM-Teams im Kopf? Nach welchen Kriterien wird es zusammengestellt?

George Kingston: Das Team für die WM wird die besten Spieler Deutschlands enthalten. Ganz egal, ob es sich um altgediente, neue, junge, alte Spieler oder sogar um ehemalige Nationalspieler handelt. Aber alles passiert jetzt im Moment. Wenn man zu einer WM fährt, muß man die besten Spieler haben. Da bleibt keine Zeit, sich zu entwickeln. Das ist die Zeit, wo die Spieler ihr Bestes hervorbringen müssen.

Was kommt zuerst: Die Philosophie vom Spiel, nach der sie die Akteure aussuchen oder die Spieler-Bestandserhebung, nach der, je nach Ergebnis, eine Strategie ersonnen wird?

Na ja, das ist im Moment, wie wenn man in eine neue Firma eintritt. Man macht erst mal eine Inventur, um rauszufinden, was man so im Schrank hat. Was man braucht, sind Spieler aus verschiedenen Ecken des Schranks. Man stellt sie zusammen, dann braucht man die nötige Chemie, um ein gutes Team zu bekommen. Die Philosophie ist immer da, aber erst bei der WM wird man sehen, ob es die richtige ist.

Was bringt einen kanadischen Weltmeistertrainer nach Deutschland?

Nun, erstens ist es eine große Ehre, Nationaltrainer zu sein, zweitens ist es eine sehr große Herausforderung einen WM-Neunten zu übernehmen, um ihn dorthin zu bringen, wo, wie ich glaube, das deutsche Team hingehört: in die Top sechs. Meiner Meinung nach hatten die Deutschen bei der letzten WM sehr viel Pech.

Meiner Meinung nach war Ludek Bukacs Mannschaft einfach nicht gut genug. Ich weiß nicht, ob es irgendeinem Trainer möglich sein kann, sie zur Spitze zu führen.

Das ist die Herausforderung und eine offene Frage. In diesem Moment bin ich der Meinung, daß Ludek Bukac ein sehr guter Trainer war. Ich kenne ihn aus den frühen Siebzigern. Unsere Familien besuchen sich regelmäßig. Aber Sie haben recht. Es ist nicht der Trainer. Es ist auch eine Frage der Umstände: Sie haben einen Schuß, der den Pfosten trifft, Sie haben einen Schuß, der reingeht. Die meisten Spiele sind sehr eng. Bei der WM schuf Deutschland sehr viel Offensive, schoß aber keine Tore.

Daran war Ludek Bukac unmöglich alleine schuld ...

Das sind die Trainer immer ...

Ja, aber immerhin versuchte Bukac eine Philosophie und Strategie auf dem Eis durchzusetzen. Dafür hat er Spieler geopfert, die nicht in dieses Konzept zu passen schienen. Das haben Sie ihm am Ende zum Vorwurf gemacht.

So ist das. Wenn du gewinnst, werden viele Dinge nicht gesagt. Wenn du verlierst, wird dafür sehr viel gesagt. Ich weiß, daß die deutsche Presse sehr kritisch ist. Aber ich beginne jetzt mit der Arbeit: In dieser Situation bin ich positiv eingestellt und optimistisch, das Team in die Top sechs zu führen. Ich habe keine Entschuldigungen und keine Probleme, und ich werde nichts bedauern. Ich bin hier, um mein Bestes zu tun, genau wie Ludek Bukac sein Bestes getan hat. Sollte mein Bestes nicht gut genug sein, nun, dann wird es wieder einen Wechsel geben.

Bukac predigte eine deutsche Variante des kanadischen Eishockey. Er wollte große, er wollte kräftige Kerle.

Das internationale Spiel ist wie in der Spitze der NHL: Man braucht begabte Spieler, die soviel Größe, Herz und Kampfmoral einbringen, wie man nur kriegen kann. Die Zeit für begabte kleinere Spieler ist nicht da, die Großen eliminieren sie einfach. Ich mag Können. Bukac mag Können. Aber das internationale Spiel ist ein defensiv orientiertes Spiel. Es ist ein Spiel von Mann-gegen- Mann-Kämpfen, die immer nur einer gewinnt. Der muß aus deinem Team sein.

Aber die wirklich begabten deutschen Spieler sind nun nicht gerade Riesen. Man denke an Ustorf, Holzmann, Köpf, vielleicht sogar Brandl.

Ja, aber sie sind hier Riesen. (zeigt auf sein Herz) Die spielen, um zu gewinnen.

Heißt das, sie sind doch groß genug?

Ja, natürlich. Das Allerwichtigste ist nicht die Körpergröße. Der Charakter ist die Nummer eins. Wir brauchen Spieler, die spielen, um zu gewinnen. Die muß man in der DEL finden. Das sind die Spieler, die auf internationaler Ebene den Unterschied ausmachen. Letztes Jahr wurde unser Team Canada sehr kritisiert. Aber wir hatten unsere Spieler nach dem Kriterium Charakter ausgewählt. Und am Ende machte das im Duell eins gegen eins den Unterschied.

Körpergröße, Größe des Herzens: Was ist nun Ihr Maßstab?

Jedesmal, wenn ich mir ein DEL-Match ansehe, suche ich nach Spielern, die den Unterschied ausmachen. Das kann das Erzielen eines Treffers sein, das kann die Art sein, wie man einen Check einsteckt, das kann sein, selbst einen Check anzusetzen, das kann auch nur ein Kampf eins gegen eins in einer Ecke sein: Ein Spieler kommt da wieder raus, und daraus entsteht etwas. Das ist es, was ich sehen will: Spieler, die sich dem Wettkampf stellen, um zu gewinnen. Wer sich für einen Nationalspieler hält, das auf dem Eis aber nicht erkennen läßt, könnte bald keiner mehr sein.

Ihre Vorgänger haben sehr hart gearbeitet, bis sie einige der älteren Spieler, wie etwa den Berliner Georg Holzmann, endlich los waren. Sie holen die zurück, zumindest mal in ihr vorläufiges Aufgebot für Stuttgart.

Nicht unbedingt. Wenn Holzmann der Spieler ist, mit dem wir die Resultate bekommen, großartig. Wenn nicht, dann hat Bukac eine Entscheidung gefällt, und werde ich eine Entscheidung fällen. Der Punkt ist, ich habe keine Vorurteile. Jeder Spieler hat eine neue Chance. Das ist mein Job – wenn ich gehe, muß die Situation besser sein, als es jene war, die ich antraf. Das ist ganz einfach.

Wie wichtig ist auf diesem Weg ein Deutschland-Cup, dessen Standard auch schon höher war?

Das DEL-Allstar-Team wird hervorragend sein. Team Canada wird gut sein, ich hoffe, daß die Finnen, Tschechen, Slowaken gute Mannschaften schicken. Ich bin optimistisch, daß es ein niveauvolles Turnier wird. Das Wichtigste für mich wird sein, deutsche Spieler im internationalen Wettbewerb zu sehen.

Sie brauchen aber auch Resultate?

Ja, ja, man braucht Resultate, aber das Hauptresultat des Turniers muß es sein, alle Spieler gesehen zu haben, die es zu sehen gibt. Denn zwischen Stuttgart und der WM sehe ich die Spieler nur noch in der DEL.

Ob das genug ist?

Es muß genügen.

Das Interview führte Peter Unfried