Emmas Töchter

■ London-Trips mit „Anna Lee“ ab heute, 20.15 Uhr, RTL 2

Unverbrüchlich zählt bis zum heutigen Tage, ja bis zur gegenwärtigen Stunde Emma Peels Abschied von John Steed zu den bewegendsten Momenten der Fernsehgeschichte: Echte Rührung erfaßt selbst den dickfelligsten Fernsehkritiker, wenn der traurige Steed ihr nach- und Peel sich ein letztes Mal umsieht und wir endgültig gewahr werden, was wir gleichwohl längst ahnten: daß nicht allein berufliche Belange und eine Vorliebe für Champagner, sondern innigste Gefühle diese beiden prächtigen Menschen miteinander verbanden. Wäre Diana Rigg nur besser bezahlt worden, aus der platonischen Beziehung hätte werweißwas werden können ...

Das ist lange her, die Heldinnen britischer Fernsehserien haben es heute ungleich schwerer, und flatterhafte Freiberuflerinnen wie Mrs. Peel tauchen schon gleich gar nicht mehr auf. Auch die Ära der exzentrischen Großverbrecher mit Weltherrschaftsgelüsten ist abgelaufen, niemand sinnt mehr über möglichst originelle Mordmodalitäten. Die Zeiten sind härter geworden; heuer wird umgelegt, was gerade im Wege herumsteht.

Detective Sergeant Harriet Makepeace („Dempsey and Makepeace“) resignierte angesichts solch blutiger Realitäten und zog sich auf einen geruhsamen Museumsjob zurück. Auch Anna Lee (Imogen Stubbs), Titelheldin einer sechsteiligen, auf Liza Codys Romanen basierenden Spielfilmreihe auf RTL 2, wartet nicht bis zum Erreichen der Pensionsgrenze. Sie verläßt den Polizeidienst vorzeitig, weil sie nicht länger sexuellen Belästigungen ausgesetzt sein möchte. Doch damit beginnt unsere Erzählung erst.

Ihr Auskommen findet Anna hinfort in einer kleinen, aber reputierlichen Detektei, deren streng auf Konventionen haltender Inhaber (Alan Howard) der jungen Kollegin allerdings zunächst mit gewissen Sentiments begegnet. Doch „We can do it!“ steht auf Anna Lees T-Shirt, und auch diverse andere Signets der Frauenbewegung deuten an, daß unsere Heldin nicht angetreten ist, sich von Chauvinisten alter Schule stauchen zu lassen. Andererseits gehört Anna Lee keineswegs zu den Kollegen, die sich wildentschlossen in ihren jeweiligen Fall verbeißen. Stets bleibt Zeit für einen Flirt, einen kleinen Streit mit der Schwester oder eine Alberei mit deren Sohn. Immer gibt es an ihrem Oldtimer mit dem vielsagenden Kennzeichen „RSK“ etwas zu schrauben, und auch Annas Hauswirt, der freundliche Griesgram Selwyn Price (Brian Glover), beansprucht ein gut Teil ihrer Zeit.

Autoren und Regisseure lassen ausreichend Raum für derartige Nebenlinien, für Randfiguren und Zwischentöne; sie gönnen sich, der Protagonistin und den Zuschauern immer wieder mal aparte Gewitztheiten, deren Fehlen manch deutsche Serienproduktion so öde wirken läßt. Obendrein verschlägt es Anna Lee bei ihren von Anna Dudleys (Art of Noise) Filmmusik untermalten Streifzügen zumeist an Londons schönste Plätze. Camden Lock erstrahlt in warmen Agfacolor-Farben, Portobello Road liegt gleich um die Ecke, und der Karneval in Notting Hill liefert sogar das Thema für eine komplette Episode. Insgesamt also ein gefälliges Werk, das den Feierabend recht angenehm illuminiert und beiläufig ein bißchen Chauvi-Erziehung leistet. Harald Keller