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Gehe nicht auf meinen Straßen

■ Autohasser Michael Hartmann auf Bewährung verurteilt

München (taz) – „Der Angeklagte beschloß, auf der Straße Brotzeit zu machen und verwirklichte sein Ansinnen am 24. Juli 1990 auf der Nymphenburger Straße von sechzehn Uhr zehn bis sechzehn Uhr dreißig“, trägt der Richter mit tonloser Stimme vor. Keine Szene aus dem „Königlich- Bayerischen Amtsgericht“ – filmreif wäre sie trotzdem. In der Münchner Großen Strafkammer, in der Vergewaltigungen oder Körperverletzungen mit Todesfolge verhandelt werden, wird jemand verurteilt, dem die Staatsanwaltschaft das Gehen auf Straßen und Kreuzungen anlastet.

Der 28jährige Michael Hartmann pflegt seit Jahren die Leidenschaft, Münchner Straßen und Plätze zu überqueren, auf ihnen entlangzuspazieren oder gar zu pausieren – ohne Rücksicht auf Autofahrer. Das war den Richtern ein Exempel wert: Autohasser Michael Hartmann ist gestern wegen „gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr“ und wegen Nötigung zu zehn Monaten Freiheitsentzug auf Bewährung verurteilt worden. „Er hat Gewalt angewendet durch körperliche Zwangswirkung“, meint der Staatsanwalt, der zwei Jahre auf Bewährung und 400 Stunden Arbeitsauflage gefordert hatte. Tatsächlich: Ein Autofahrer mußte auf der Leopoldstraße abbremsen, ein anderer zwei Minuten hinter dem Verurteilten herfahren, ein dritter übersah ihn schlicht: Hartmann war der einzige Verletzte dieses Unfalls. „Die Strafforderung kann nur ideologisch, aber nicht juristisch nachvollzogen werden“, empört sich sein Verteidiger. Es ist nicht das erste Mal, daß Michael Hartmann in der Stadt vor Gericht steht, die der ADAC zum Stammsitz auserkoren hat. Einen Namen machte er sich mit „Carwalking“ – Hartmann lief einfach über die Autos hinweg, die auf Gehwegen parkten. Das hatte ihm bisher Bußgeldbescheide eingetragen, die ihn von seiner Art, Fahrbahnen zu betreten, nicht abbringen konnten. Auch nicht die Wutanfälle und die Schläge von Autofahrern, darum wohl ließ die bayerische Justiz ihre Muskeln spielen. Die Große Strafkammer, bei der mit Strafen von über vier Jahren gerechnet werden muß, und sechs Verhandlungstage mußten es schon sein, 42 Zeugen traten auf. „Wegen der Schwierigkeit der Sache“ hatte das Gericht auch einen zusätzlichen dritten Richter und eine psychiatrische Gutachterin für nötig gehgalten. „Am Rande zur Abartigkeit, hysterisch, exzentrisch und unreif“ lauten die Schlüsselbegriffe ihres Urteils. Fußgänger und Architekturstudent Hartmann will aber nur, „daß der Mensch mehr gilt als ein Automobil“. In den Verhandlungspausen verteilte er Flugblätter. Mit „ökorevolutionären Grüßen“ will er zum Straßenspazierengehen animieren, Vorträge halten, ein Buch schreiben. Nicht zuletzt, weil er, wie er sagt, wegen der Bußgelder mit 25.000 Mark verschuldet ist.

Gelassen nimmt er das Urteil auf. Wenn es denn Nötigung sei, Autos wenige Sekunden aufzuhalten, „okay, gut“, dann werde er nun jedes Auto anzeigen, das auf Gehwegen parke und somit Fußgänger nötige. In seinem Plädoyer verspricht er, nicht mehr auf mehrspurigen Straßen oder großen Kreuzungen zu gehen – „weil es mir immer wieder fast passiert ist, umgerast zu werden“. Corinna Emundts

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