„Arm fühle ich mich eigentlich nicht“

■ Susanne Siemoneit ist allein mit ihrem zehnmonatigen Sohn

„Sozialhilfe zu beziehen, kann für mich nur ein vorübergehender Zustand sein. Wenn ich mit 40, 50 Jahren immer noch von Sozialhilfe abhängig wäre, würde ich mich sehr unvollkommen fühlen. Ansonsten lebe ich derzeit einigermaßen komfortabel: das Erziehungsgeld wird nicht auf die Sozialhilfe angerechnet. Zusammen mit 600 Mark Sozialhilfe, 600 Mark Erziehungsgeld, Unterhalts- und Kindergeld haben ich und mein Sohn etwa 1.400 Mark zum Leben plus der Miete vom Sozialamt. Ausgegrenzt fühle ich mich nicht. Denn abends weggehen ist im Moment sowieso schwierig, wegen Frank. Und mit Geld konnte ich immer schon gut umgehen. Wenn es eng wird, kann man mit Kindern eine Menge improvisieren, beispielsweise im Secondhandladen Spielzeug und Kleidung kaufen.

Geplant war das alles aber nicht. Ich habe in meinem früheren Job als Sekretärin 3.300 Mark netto verdient und hatte keine Ahnung von Sozialhilfe. Schon acht Wochen nach Franks Geburt versuchte ich, bei meinem früheren Arbeitgeber in Teilzeit zu arbeiten. Mit den 1.800 Mark netto kam ich aber nicht hin, außerdem bedeuteten der Job und das Kind zusammen sehr viel Streß im Alltag. Mein Chef wollte auch Personalkosten sparen, also verlängerte ich den Erziehungsurlaub. Wenn Ende 1995 mein Erziehungsgeld ausläuft und ich nur von Sozialhilfe leben muß, dann wird es aber sehr knapp. Dann muß ich mir unbedingt was Neues suchen.

Es ist ziemlicher Blödsinn zu sagen, daß sich Sozialhilfe vererbt auf die Kinder. Die Sozialhilfe ist eine Brücke, ohne die ich abstürzen würde. Arm fühle ich mich jetzt nicht, aber schon diskriminiert, weil die Ämtergänge sehr aufwendig sind. Man sollte für Mütter eine Art ,Kindergroßzieh- Geld‘ zahlen und nicht Sozialhilfe. Dann wäre die Stigmatisierung weg.“

Susanne Siemoneit ist Klientin der Sozialhilfeberatungsstelle „tam“ in Berlin-Kreuzberg. Barbara Dribbusch