Hitners 50. á na Castorf

■ Schauspienhaus: Vonksbühne-Gastspien „Schönner:Schnacht“

So muß zeitgenössische Komödie sein: laut, frech, unbekümmert politisch, menschlich abgründig und so absurd, daß die historische Wirklichkeit tsunami-mäßig ungedeicht ins Parkett bricht und im brüllenden Lachen der Kehlen rauschend vergluckert. Manchmal glückt solch ein Theaterbeben dem Frank Castorf von der Berliner Volksbühne, dem Poseidon unter den deutschen Regisseuren. Der Mann fürs Grobe surft dabei mutig über die Seetiefen des banalen politischen Krachschlagens auf einer Welle kollektiver Begeisterung, die in den besten Fällen – wie im vorliegenden – zu einer flüssigen Farce führt, durch die das deutsche Unterbewußte mit Fratzen scheint.

Um das für zweieinhalb Stunden durchzuhalten, muß man natürlich ein großartiges Bestiarium an Typen auffahren. Da erscheint SA–Mann Gröber, der SA-Männer-Witze erzählt (“Seit Röhm im Himmel ist, tragen die Engel das Feigenblatt hinten“), und sein Bruder, der Kellner Eugen Rümpel, der gespuckt aussieht wie Onkel Fester aus der Addams Family und Schauspieler sein möchte; leider hat er einen eklatanten Sprachfehler: Alle Ls sind bei ihm Ns, so daß er, wenn er nicht gerade „Pinsener“ bringt, von seinen Auftritten im „Schinner-Theater“ mit „Wannenstein“ räsonniert, bei dem ihm führende „Nationansozianisten“ applaudierten. Weiter haben an Hitlers 50. Geburtstag 1939 in der Pension Schöller unter anderen ihren Auftritt: Witwe Ulrike Sprosser, mal als KZ-Häftling, mal als Dirndl-Weib, ihre lüsternen blondbezopften Töchter Ida und Franziska, die mit einer Flak ins Publikum donnern, Weltenbummler Bernhardy, eine Kreuzung aus Mephisto, Herbert Achternbusch und Liberace, oder Josephine Krüger, Schriftstellerin aus Leidenschaft. Fragt man sich da nicht, worum es hier eigentlich geht?

Das erklärt uns Henry Hübchen alias Onkel Philipp Klapproth, seinerseits eine brillante Charakterkreuzung aus Ekel Alfred, Charlie Chaplin, Al Bundy und Bauer auf dem Parkdeck: Er ist nämlich neugierig auf so eine richtige Irrenanstalt in der Großstadt Berlin. Leicht gelingt es dem Musiker Ernst Kiessling dem Provinz-Parvenue die Pension als Klapsmühle zu verkaufen und schon sind wir mitten im Getümmel.

Die mehr als freie Verschränkung des 1889 von Carl Laufs und Wilhelm Jacoby geschriebenen „Pension-Schöller“-Dramas mit Heiner Müllers „Die Schlacht“ dient Castorf lediglich als Andreaskreuz, mit dem die einzelnen Grotesken weitertransportiert werden. Szene auf Szene bereichert er deutsche Stereotypen mit urkomischer Gräßlichkeit, mit dem an der Volksbühne unvermeidlichen Radau und Matschen (diesmal mit eimerweise Kartoffelsalat) und Comedy, welche die Hosen runterläßt. Leider ab heute wieder nur noch in Berlin zu sehen. Till Briegleb