Ein Reliquienschrein als fundamentalistisches Postamt Von Ralf Sotscheck

Briefmarken zu kaufen ist gar nicht so ungefährlich, wie es auf den ersten Blick aussieht – jedenfalls nicht in Santry, einem Vorort Dublins. Das Postamt an der Straße zum Flughafen erinnert an einen Reliquienschrein: Im Fenster steht eine riesige Marienstatue, an den Wänden hängen Kreuze und religiöse Bildchen. Es riecht nach Weihrauch, aber vielleicht ist das auch nur Einbildung. Es dauert einen Moment, bis ich den Schrecken über das unerwartete Ambiente überwunden habe, doch dann kommt es noch schlimmer.

Die Postbeamtin, eine 60jährige mit Stirnglatze, hat nicht alle Tassen im Schrank. Míne Bean Uí Chribín bezeichnet sich selbst als „katholische Fundamentalistin“, der neue Katechismus ist ihr zu liberal. Das wäre zwar ihre Privatangelegenheit, doch im September ist eine Grundschule neben dem Postamt eröffnet worden. Scoil Paipín Naofa, wo alle Fächer in irischer Sprache unterrichtet werden, ist zwar von Eltern gegründet worden, aber inzwischen auch staatlich anerkannt. Die Fertigbauteile für das flache Schulgebäude wurden vom Erziehungsministerium gestiftet, die Eltern bauten sie in ihrer Freizeit zusammen. Um die Anfangskosten von umgerechnet 20.000 Mark aufzubringen, die nicht vom Ministerium übernommen wurden, veranstalteten die Eltern Basare und ließen sich von Läden und ortsansässigen Kleinunternehmen dafür sponsern, daß sie sich an Bungee-Seilen in die Tiefe stürzten. Den Grund und Boden, auf dem sie die zusammensetzbare Schule errichteten, wurde ihnen kostenlos von der Postbeamtin zur Verfügung gestellt – nicht ohne Hintergedanken, wie sich herausstellte.

Gleich am ersten Schultag zog Bean Uí Chribín die Katechismen der 47 SchülerInnen ein und verteilte statt dessen die alte Version, die sie auf eigene Kosten hatte drucken lassen. Außerdem hetzte sie der Schule einen Anhänger von Erzbischof Lefebre auf den Hals, der jeden Montag eine tridentinische Messe im Klassenzimmer zelebriert. Bean Uí Chribín hat erklärt, daß sie die Schule eher dichtmacht, als daß sie den neuen Katechismus zuließe.

Die meisten Eltern haben in der vergangenen Woche die Konsequenzen gezogen und ihre Kinder aus der Schule genommen. Sie werden seitdem in einer Hochhaussiedlung unterrichtet, wo sie wie die Sardinen in ein kleines Zimmer gezwängt sind. Den Fertigbau rückt die irre Postbeamtin nicht mehr heraus. Sie hat mit sechs Eltern und der Schulrektorin ein „Komitee“ gegründet, das Anspruch auf den Namen der Schule und das Gebäude erhebt. Das Erziehungsministerium hat sich bisher aus dem Streit herausgehalten. Der Terminkalender der Labour- Ministerin Niamh Bhreathnach sei zu voll, als daß sie sich darum kümmern könnte, gab die Behörde bekannt. „Wenn das im vornehmen Süd-Dublin passiert wäre“, sagt Louise Corway, die ihre Tochter von der Schule genommen hat, „dann wäre die Ministerin wie ein geölter Blitz angerauscht. Aber wir gehören ja bloß zur Arbeiterklasse.“

Die Briefmarken, die ich in dem Postamt gekauft habe, feuchte ich vorsichtshalber mit einem Schwamm an. Wahrscheinlich ist die Gummierung mit einer Droge präpariert, die Unbedachte im Handumdrehen in tridentinische Fundamentalisten verwandelt.