■ Schwankende rechtliche Grundlagen der Abschiebehaft
: An den Rändern der Verfassung

Kürzlich konnte man einer Notiz in der polnischen Presse entnehmen, daß ein in Haft genommener Abschiebungskandidat durch Gerichtsbeschluß seine Freiheit zurückerhalten hat. Es fehle, so die Richter, an der gesetzlichen Grundlage für die Verhängung der Abschiebehaft, weshalb der „Delinquent“ nicht länger als 48 Stunden festgehalten werden dürfe. Diese sympathische Anordnung resultiert aus der Tatsache, daß die Polen jetzt zwar über Bruchstücke einer demokratischen Verfassung verfügen, aber noch nicht über genügend Gesetze, um sie anschließend wieder zu durchlöchern.

In Deutschland war die Lage umgekehrt. Wir verfügten stets über ausreichende juristische Abschiebungsgrundlagen, selbst wenn es uns an demokratischen Verfassungsprinzipien mangelte. 1938 beispielsweise geschah das mittels der Polizei-Ausländerverordnung, in der es lapidar hieß: „Zur Sicherung der Abschiebung kann ein Ausländer in Abschiebehaft genommen werden“. 45 Jahre Rechtsstaat und intensive Bastelarbeiten am Paragraphen 57 des Ausländergesetzes, der sagt, wann Abschiebehaft verhängt werden darf, haben nichts daran ändern können: Nach wie vor bewegen sich Theorie und Praxis des Abschieberechts im vordemokratischen Rahmen.

Daß die persönliche Freiheit eines der höchsten Rechtsgüter ist und nur eingeschränkt werden darf, wenn der Schutz der Allgemeinheit dies zwingend gebietet, ist auch dem Bundesverfassungsgericht schon frühzeitig aufgefallen. Daher die Konzentration auf die Verletzung von Straftatbeständen und die strengen Voraussetzungen für den Erlaß von Haftbefehlen. Zu den freiheitssichernden Schutzbestimmungen gehört auch, daß Untersuchungshäftlinge nur einen kurz bemessenen Zeitraum unter Verschluß gehalten und ihrer Menschen- und Bürgerrechte nicht beraubt werden dürfen. Nun würde nach gewöhnlicher Logik folgen: Was für diejenigen gilt, die einer schwerwiegenden Straftat verdächtig sind, muß erst recht für diejenigen gelten, die nur gegen ausländerrechtliche Bestimmungen verstoßen haben. Ein naiver Irrtum. Während für die Untersuchungshaft in der Regel eine Obergrenze von sechs Monaten vorgeschrieben ist, kann nach Paragraph 57 Satz 3 die Abschiebungs-Sicherheitshaft auf maximal 18 Monate ausgedehnt werden. Über ein Jahr in Abschiebehaft zu schmoren ist keine Seltenheit, wenn man auf die „spektakulären Fälle“ der letzten Wochen schaut.

Zwar hat in den vergangenen Jahren die Rechtsprechung mehrfach der Ausländerbehörde klarzumachen versucht, daß die Abschiebehaft nicht dazu da ist, die Tätigkeit dieser Behörde bequemer zu gestalten. Allein, die Kasuistik des Paragraphen 57 erlaubt den Behörden gerade dieses Verfahren. So genügte kürzlich die treuherzige Bemerkung eines Ausländers, er werde nach Ablauf seiner Aufenthaltsgenehmigung nicht ausreisen, den Beamten, ihn einzusacken. Das war der „begründete Verdacht“, er werde sich der (künftigen, aber noch gar nicht verfügten) Abschiebung entziehen.

Der eingangs erwähnte Entscheid des polnischen Gerichts enthält für uns zwar keine unmittelbar juristische, aber doch eine die Menschenrechte betreffende Botschaft. Ist es mit der Menschenwürde vereinbar, umstandslos Bestimmungen, die für die Untersuchungshaft in Strafverfahren gelten, auf „Abzuschiebende“ anzuwenden? Und sind die unglaublichen Haftbedingungen für in Sicherungshaft schmorende Ausländer nicht die logische Folge eines Rechtsverständnisses, das die Rechtsgarantien dieser Häftlinge noch niedriger ansetzt als die „gewöhnlicher“ Untersuchungshäftlinge? Nicht die Einrichtung spezieller Ausländerknäste weist hier den Ausweg, sondern ein anderes Verständnis des Art. 2 unseres Grundgesetzes, der von der Freiheit der Person (und nicht nur der „Deutschen“) handelt. Christian Semler