Bei den Koalitionsgesprächen mit der Union stehen die Verhandlungsführer der FDP unter enormem Druck: Während die Parteibasis Mut zum liberalen Profil einfordert, ist die Spitze bereit, strittige Fragen auszuklammern. Aus Bonn Hans Monath

Der Widerspenstigen Lähmung

Disziplin“ fordert Wolfgang Schäuble, Fraktionschef von CDU/CSU, zu Beginn einer schwierigen Legislaturperiode von seiner Mannschaft. Angesichts der knappen Mehrheit des Regierungslagers von nur zehn Stimmen ist Einigkeit geboten. Jede kleine Interessengruppe innerhalb der Koalition kann künftig eigene Ansprüche anmelden und zu deren Durchsetzung mit Verweigerung drohen.

Wie unsicher die Union sich ihrer Mehrheit ist, zeigt die Absicht, erst nach der Kanzlerwahl die Ministerliste bekanntzugeben und erst dann die lange geplante Verkleinerung der Bundestagsgremien in Angriff zu nehmen. Wer gehen muß und verbittert ist, so das Kalkül, kann im Bundestag nicht mehr gegen die Wahl Helmut Kohls stimmen.

Da ist zum einen die erstarkte Landesgruppe der CSU in der Unionsfraktion. Große Töne spuckten die Bayern nach dem Wahlabend, an dem sie die FDP überrundet hatten (7,3 Prozent bundesweit). Die anfänglichen Drohungen gegenüber dem Koalitionspartner sind inzwischen auffällig versöhnlichen Worten gewichen. Die CSU- Politiker haben offenbar eingesehen, daß sie auf den liberalen Partner angewiesen sind und diesem zumindest einen minimalen Spielraum einräumen müssen. Denn jenseits der Liberalen droht den konservativen Bayern eine Große Koalition der Union mit der SPD, in der sie nur verlieren können.

Mit erbetenen und unerbetenen Ratschlägen wurden die gerupften Liberalen in der Woche nach der Wahl förmlich überschüttet. Einzelne Landesverbände rebellierten offen und forderten den Rücktritt der Parteiführung. Kinkel-Kritiker Jürgen Möllemann sorgte tagelang für Schlagzeilen, ohne am Ende der Woche dem angestrebten Ministeramt einen Schritt näher gekommen zu sein. Öffentlich warnten prominente Liberale wie EU- Kommissar Martin Bangemann („letzte Gnadenfrist“) oder Hildegard Hamm-Brücher („keine Koalition um jeden Preis“). Der ehemalige liberale Vordenker Sir Ralf Dahrendorf pries gar den Weg in die Opposition als einzige Möglichkeit zur Regeneration.

Der Weg in die Opposition kann der FDP in dieser Legislaturperiode durchaus bevorstehen. Freiwillig gehen werden ihn die Liberalen jedoch nicht. Sie wollen das Kunststück fertigbringen, sich in der Koalition zu profilieren sowie gleichzeitig ihre weggebrochene Basis wiederaufzubauen und die programmatische Erneuerung zu schaffen.

Die Zeit ist knapp, denn schon im Februar drohen wieder Landtagswahlen, diesmal in Hessen. Die Koalitionsvereinbarungen und der Sonderparteitag gelten als Richtungsentscheidungen von existentieller Tragweite, nachdem die Partei aus neun Länderparlamenten geflogen ist und sich in Nordrhein-Westfalen auch aus der Kommunalpolitik verabschieden mußte.

„Bis zur Jahreswende wissen wir, ob es die FDP in fünf Jahren noch gibt“, sagt ein Mitglied des FDP-Bundesvorstands. Kein Wunder, daß die Verhandlungsführer der FDP „unter enormem Druck“ stehen, wie es im Thomas- Dehler-Haus heißt. Falls die Unterhändler die Gespräche mit der Union ohne respektables Ergebnis abschließen, wird die Parteibasis auf dem Sonderparteitag Ende des Jahres der Führung die Gefolgschaft aufkündigen.

Konfliktstoff mit der Union gibt es genug. Der große Partner ist zudem in manchen Streitpunkten der SPD näher als der FDP (siehe Text unten). Die Sozialdemokraten beherrschen den Bundesrat. Ohne die Ländervertretung aber sind viele Pflichtaufgaben der kommenden Legislaturperiode nicht zu lösen. Kanzler Kohl will im Koalitionsvertrag nur „Eckpunkte“ festschreiben, die ihm viel Spielraum lassen. Liberale Spitzenpolitiker hatten vor der Wahl erklärt, sie wollten detaillierte Festlegungen, die „in die Tiefe gehen“. Sie wissen: Einen Hebel haben sie nur so lange in der Hand, wie der Kanzler noch nicht gewählt ist.

Die FDP-Spitze scheint nun allerdings doch bereit zu sein, die Koalitionsvereinbarungen sehr allgemein zu halten oder einzelne strittige Fragen ganz auszuklammern. Nach Informationen aus der Partei soll das sowohl für das Ausländerrecht als auch für Fragen der Inneren Sicherheit (Großer Lauschangriff) gelten.

Dafür gibt es zwei mögliche Erklärungen: Die Liberalen stehen nicht geschlossen hinter der Forderung nach einer Reform des Staatsangehörigkeitsrechts und nach der Wahrung der Bürgerrechte. Ihre neue, stark dezimierte Fraktion ist deutlich konservativer als die vorherige. Zum anderen ist die Union sich in der Bewertung des Staatsangehörigkeitsrechts auch nicht einig. So können sich auch CDU- Abgeordnete vorstellen, daß sich ihre Fraktion in der Frage der Staatsbürgerschaft bewegt. Damit wäre eine „flexible Handhabung“ der Streitfragen im Koalitionsvertrag durchaus sinnvoll.

Eine Kabinettsverkleinerung auf 13 Ressorts (von bislang 18) ist Ziel der Liberalen. Auch Kohl soll nun bereit sein, dem bislang mit fünf Ministerposten im Kabinett vertretenen Partner entgegenzukommen und zumindest zwei Ressorts zu streichen. Die Diskussion über die Größe des Kabinetts wird allerdings ganz am Ende der Gespräche geführt, die nach dem Willen beider Seiten sehr schnell über die Bühne gehen sollen. Erst am Ende der Gespräche stehen auch die Personalfragen, über die bislang nur spekuliert wird.

An einem Vizekanzler und Außenminister Kinkel führt allen Forderungen nach personeller Erneuerung zum Trotz kein Weg vorbei. Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Anfang vergangener Woche wieder Ziel wütender CSU-Attacken, gilt den Liberalen als sakrosankt. Die Politikerin verkörpert geradezu liberale Selbstachtung. Das Ressort des gänzlich ausstrahlungsfreien und verdienstlosen Wirtschaftsministers Günter Rexrodt schließlich wollen die Liberalen in den Verhandlungen unbedingt für sich retten.

Der Preis dafür, so wird in der Partei spekuliert, könnte die Aufgabe zweier kleinerer Ressorts sein. Auch die eigene Partei würde Bauministerin Irmgard Schwaetzer kaum eine Träne nachweinen, der nicht nur wegen des Skandals um den Schürmann- Bau das Wasser bis zum Hals steht. Versüßt werden könnte ihr der Abgang mit dem Angebot einer Bundestagsvizepräsidentschaft. In der Öffentlichkeit kaum auffallen würde das Ausscheiden des liberalen Bildungsministers Karl-Hans Laermann, der zudem vor seiner Berufung schon einmal öffentlich seinen Rückzug aus der Bundespolitik angekündigt hatte.

Ob die Liberalen tatsächlich den Mut zur Widerspenstigkeit finden, ohne die sie eigenes Profil gegenüber der Union nicht erkämpfen können, entscheidet sich schon am heutigen Montag. Nach der gestrigen Klausurtagung des Präsidiums will der Bundesvorstand der Partei heute über die Zusammensetzung der FDP-Kommission und die Verhandlungsziele beraten. Da die Koalitionsverhandlungen schon heute abend beginnen sollen, können die Vorstandsmitglieder nur in der heutigen Sitzung noch Einfluß nehmen und den Willen der Parteibasis gegen die Führungskorona stark machen. Als ein Hebel gilt der Beschluß zur Trennung von Amt und Mandat, den der FDP-Parteitag im April gegen den Willen der Parteiführung gefaßt hatte. Auch diese Forderung soll eine liberale Kommission in den Verhandlungen mit der Union vorbringen.

Egal was schließlich in den Koalitionsvertrag geschrieben wird: Schon jetzt steht fest, daß die Sozialdemokraten alles daransetzen werden, Unruhe in die Koalition zu tragen und die Regierungspartner mit genau kalkulierten Anträgen gegeneinander aufzubringen. Die SPD-Fraktionsspitze hat ihre Strategie dazu schon geplant: „Wir zielen auf die FDP.“