In der Klemme

■ Drogenprozeß vor dem Amtsgericht: Aussageverweigerung schützt angeklagten Türken nicht vor möglicher Abschiebung

Hüseyin A. sitzt in der Klemme. Entweder er sagt zum Vorwurf einer Straftat, dem Besitz von 750 Gramm Cannabis, aus und blickt einer Verurteilung entgegen. Oder er macht keine Aussagen, verlängert den Prozeß und muß fürchten, in der Zwischenzeit in die Türkei abgeschoben zu werden. Vor diese Wahl gestellt, entscheid sich A. gestern vor dem Amtsgericht dafür, nicht zu den den gegen ihn erhobenen Vorwürfen auszusagen. „Das ist Ihr Risiko,“ meinte Richter Hoffmann. „Aber ich weise Sie darauf hin, daß die Ausländerbehörde in Ihrem jetzigen Wohnsitz Regensburg Ihnen das sehr nachteilig auslegen kann.“

Denn die Anklage wirft dem 37jährigen Hüseyin A. vor, 1990 im deutsch-türkischen Kulturzentrum in der Gröpelinger Heerstraße kleine Mengen Cannabis besessen zu haben, 50 Gramm davon verkauft und 750 Gramm im Garten vergraben zu haben. Ob das stimmt, läßt sich im Verfahren vor dem Amtsgericht erst einmal nicht ermitteln: Denn A. gibt zwar zu, er habe sich „dafür schon tausendmal geschämt“, habe noch nie mit dem Gericht zu tun gehabt und werde „sowas nicht wieder tun“, sieht aber seine „einzige Schuld“ darin, im deutsch-türkischen Verein Kunde und Bedienung gewesen zu sein. „Ich bin dahin gegangen, weil ich keinen kannte und kein Deutsch konnte“, sagt A. durch seine Dolmetscherin.

Den Besitz der kleinen Mengen wollen Gericht und Staatsanwaltschaft nicht weiter verfolgen, sondern sich eigentlich nur um den großen Batzen der 750 Gramm kümmern. Richter und Staatsanwalt wollen das Verfahren ohne Verzögerung durchführen und deuten Milde an: Keine Vorstrafen, die Tat lange vergangen, wenige Zeugen und die nicht unbedingt glaubwürdig, A. nicht als Drahtzieher, sondern vielleicht nur als Mittäter...Der Richter geht sogar so weit, schon am Beginn der Hauptverhandlung dem Angeklagten eine Geld- statt einer Freiheitsstrafe in Aussicht zu stellen.

Doch A. lehnt ab. Für den Prozeß ist er extra aus Regensburg angereist und hat seine Arbeit bei BMW unterbrochen. Bei jedem Termin auf der Ausländerbehörde, berichtet A., kriegt er vom Amtschef zu hören „Wie steht es mit Ihrem Prozeß?“. Aussagen zur Anklage will er dennoch nicht, die Aussagen der Zeugen fürchtet er nach seinen Angaben nicht: „Wenn die Zeugen ihre Aussagen beweisen können, gebe ich das auch zu.“ Er selbst macht zu dem schweren Vorwurf des Besitzes von 750 Gramm keine Angaben, bekennt sich weder schuldig noch beteuert er seine Unschuld. Die Verzögerung des Verfahrens kann ihm nutzen, wenn er auf einen Freispruch hofft, aber sie kann ihm in den Augen der Behörde in Regensburg auch schaden: Der Richter meint, vielleicht wäre eine schnelle (und angedeutet: eine milde) Verurteilung auch mit Blick auf die Entscheidung des Ausländeramt über Hüseyin A.s Zukunft die beste Lösung für ihn statt eines wiederum offenen Verfahrens.

„Ich will nicht, daß die Behörde schlecht über mich denkt“, meint A. Ob der Richter den bayerischen Beamten nicht sagen könne, er habe damit nichts zu tun? Energisch schüttelt Richter Hoffmann den Kopf („ich habe mir hier ja keine Meinung bilden können“) und setzt den nächsten Verhandlungstermin auf Mitte April 1995 fest.

bpo