Happy End, großorchestral

■ „Jenufa“als proletarisches Dorfdrama: Premiere des Bremer Musiktehaters

Trotz großer Konkurrenz in Print- und visuellen Medien behauptet sich die Oper als der Ort, an dem die schönsten Happy-Ends zu bewundern sind. Was ist der glühende Sonnenuntergang im Monument-Valley gegen das samtene Verdämmern von Tristan und Isolde, was der Panorama Blick übers Gipfelkreuz, an dem der Förster endlich seine Liesl in die Arme schließen kann, gegen großorchestral gestützen Finaljubel in C-Dur? Garnix!

So wunderschön ist das Happy-End in der Oper, weil es mehraktiges Lieben, Sehnen, Meucheln und Verzweifeln höchst entlastend auflöst in Schönheit, Melancholie, Verklärung oder Glanz. Es ist vollbracht, nach dem Schlußapplaus können wir befriedigt nach Hause gehen.

Auch Jenufa, Leos Janaceks 1904 uraufgeführte Oper, die das Theater am Goetheplatz am Sonntagabend gab, hat ein Happy-End. Die Schuldigen werden bestraft, die Unglücklichen finden sich, und das alles in so übergroßen Glanz, als erwüchse dem kargen mährischen Ackerboden urplötzlich eine majestätische, gothische Kathedrale.

Der übliche Finalschwindel ist das nicht. Hier ist nichts vollbracht, nichts hat sich gerundet: Hier wird ein Neubeginn gefeiert, ein gefährdeter und vielleicht perspektivloser, denn Zwei haben sich befreien können aus Zwängen von Kovention und Sitte und aus dem Netz falscher Gefühle.

Janaceks Libretto nach einem Schauspiel der von der Tschechischen Nationalbewegung als Nestbeschmutzerin gebrandmarkten Gabriela Preissová, zeigt mit den Stilmitteln eines sozialen, humanistische geprägten Realismus ein ungeschminktes Bild seiner bäuerlich und kleinstädtisch geprägten mährischen Heimat. Unter den Zwängen von Geld, Macht und Moral werden Modelle menschlicher Liebe durchexerziert. Stewa, der reiche Muttersohn, kann sich Schönheit kaufen; Laca, der betrogene Bruder zerstört, was er liebt; Jenufa, die naive Dorfschöne, vom Müller geschwängert, klammert sich aus Angst vor Schande an den Filou und Jenufas Stiefmutter, die sittenstrenge Küsterin, im tschechischen Orginaltitel als Hauptperson ausgewiesen, tötet das Kind, das Jenufas bürgerlicher Existenz im Wege steht.

Martin Schülers Bremer Inszenierung wird bestimmt von der Furcht, das ländliche naturalistische Milieu könnte die von kolportageartigen Zuspitzungen nicht freie Oper in die Idylle abrutschen lassen. Also wendet er das Dorfdrama ins Proletarische. Gundula Martin baut ihm hierfür gründerzeitliche Fabrikmauern von hohem ästhetischen Reiz, die die Personen zwanghaft einengen.

Diese Form der Proletarisierung erlaubt zwar großartige Bildwirkungen in den Massenszenen. Aber gleichzeitig bedeutet das eine Vergröberung der Charaktere. Jede Bierflasche, jeder Krückstock, jeder Blumenstrauß wird zur Waffe, mit der der jeweilige Gegenüber bedroht oder geschlagen wird. Selbst der unschuldige Kanonenofen, der der Küsterin Behausung wärmen soll, läßt soviel Qualm ab, daß zu befürchten ist, keiner erlebe den dritten Akt. Im dritten Akte aber findet die Inszenierung zu Janacek zurück. Hier gelingen Szenen von großer Intensität.

Das Sängerensemble konnte der zugespitzten Regiekonzeption am Premierenabend darstellerisch nicht immer folgen. Trotzdem ist eine beeindruckende Leistung zu konstatieren. Theresa Waldner gestaltete rundum glücklich machend den Wandel Jenufas vom angstgetriebenen Opfer zur reifen Frau, die ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen will. Kathrine Stone diffamiert ihre Küsterin nicht als seelenlose Hexe, sie zeigt eine zerbrechliche Person, die fanatisch um das falsche Glück Jenufas kämpft. Robert Smith gibt einen selbstzufriedenen Luftikus, dem zuletzt der Boden unter den Füßen wegbricht. Und Graham Sanders als Laca wandelt sich zum starken und selbstlosen Helfer, der Jenufas Weg in die Autonomie stützt.

Ira Levin schien im Orchestergraben eigene Vorstellungen zu verfolgen. Sein Janacek klang sehr harmonisch, auch Schönheit und emotionale Explosion setzend. Merkwürdig zurückhaltend die Holzbläser, denen im Klangbild eigentlich die Aufgabe zukommt, Bodenhaftung zu artikulieren.

Trotz alledem, vielleicht auch gerade wegen der kozeptionellen Brüche, gelang ein Bremer Jenufa, die Kraft und Größe der utopischen Dimensionen des Finales vermittelten. Hierfür dankte das Publikum allen Beteilgten mit ergriffenem und lang anhaltendem Beifall. Mario Nitsche

Nächste Aufführungen: 27. und 31.10., jeweils 19.30 Uhr, Theater am Goetheplatz