Nordirlands Waffenstillstand auf tönernen Füßen

■ Irische Zeitung: IRA will im März neu über den Gewaltverzicht nachdenken

Dublin (taz) – Nur wenige Tage sind vergangen, seit Großbritanniens Premierminister John Major den Waffenstillstand der Irisch- Republikanischen Armee (IRA) als „dauerhaft“ akzeptierte und damit den Weg für direkte Gespräche mit der nordirischen Sinn Féin freimachte. Jetzt sind Berichte aufgetaucht, die einen Zeitplan offenlegen, den sich die IRA gesetzt hat, um nochmals über den Waffenstillstand zu beraten. Im März wolle die IRA den Waffenstillstand einer kritischen Prüfung unterziehen und über seine Fortsetzung nachdenken, schreibt die irische Zeitung Sunday Tribune. Das sei der Kompromiß gewesen, auf den sich der IRA-Armeerat hatte einigen können, nachdem sechs Mitglieder für den Waffenstillstand und zwei dagegen gestimmt hatten. Eine endgültige Waffenruhe muß vom höchsten IRA-Gremium, der Armee-Versammlung, abgesegnet werden. Sie hat bisher noch nicht stattgefunden.

Die Nachricht würde erklären, weshalb Sinn-Féin-Präsident Gerry Adams und sein Stellvertreter McGuinness bisher vermieden, den Waffenstillstand als „dauerhaft“ zu beschreiben, wie Major es gefordert hatte. Da sich beide jedoch persönlich auf eine friedliche Strategie festgelegt haben, wäre ihr Rücktritt wohl unvermeidlich, sollte die IRA im Frühjahr wieder zu den Waffen greifen.

Die südirischen Geheimdienste haben bereits seit Monaten potentielle Gegner des IRA-Waffenstillstands überwacht. Wie erst am Wochenende bekannt wurde, hat die Polizei am Mittwoch in der Nähe der nordirischen Grenze mehr als 3.000 Schuß Munition, drei Waffen, Handgranaten und Zünder in einem gestohlenen Jeep sichergestellt. Am Samstag kam es dann zu großangelegten Durchsuchungsaktionen in allen Landesteilen. Die Ausbeute war allerdings recht mager: eine Pistole, ein paar Schuß Munition und zwei Walkie- Talkies. „Die Aktion war gegen kleine Splittergruppen wie Republican Sinn Féin (RSF) und die Irische Nationale Republikanische Armee (INRA) gerichtet, die seit einiger Zeit in kriminelle und subversive Aktivitäten verwickelt sind“, hieß es in einer Presseerklärung der Polizei.

Republican Sinn Féin hat sich 1986 von Sinn Féin abgespalten, nachdem der Parteitag beschlossen hatte, eventuelle Sitze im südirischen Parlament einzunehmen. Traditionalisten werteten das als De-facto-Anerkennung der Teilung Irlands. Die Abspaltung hat lediglich in einigen ländlichen Regionen Einfluß, insgesamt ist sie bedeutungslos. Die INRA ist eine neue Organisation, über die bisher wenig bekannt ist. Es ist zu vermuten, daß sie aus RSF-Mitgliedern und ein paar IRA-Leuten besteht, die den Waffenstillstand ablehnen.

Der IRA-Armeerat hat Dissidenten mit „den strengsten Maßnahmen“ für den Fall gedroht, daß „Waffen ohne Genehmigung“ benutzt werden. Um das besser kontrollieren zu können, sind die vielen kleinen Waffenlager zu wenigen großen Verstecken zusammengelegt worden. Optimisten in britischen Regierungskreisen sehen darin einen ersten Schritt auf dem Weg zur Übergabe der Waffen. Ralf Sotscheck