Frauen! Greift zur Zigarette!

Die Tabakindustrie sucht neue Konsumentinnen in den Ländern der Südhalbkugel, nachdem die Männer schon länger zigarettenabhängig sind  ■ Von Annette Jensen

Berlin (taz) – „Rauchen Sie mit den Apachen eine Friedenspfeife“, fordert der Verband der Cigarettenindustrie (VCI) seine Anrufer auf. Militanten Qualmgegnern wird sogleich die Bedeutung der Branche für den Arbeitsmarkt entgegengehalten: Immerhin 160.000 Menschen hierzulande sind damit beschäftigt, Tabak anzubauen, Filter herzustellen, Zigaretten zu drehen, sie zum Händler zu fahren oder sich eine Ersatzfigur für den Mann mit dem Loch im Schuh auszudenken.

„Von Januar bis September eines jeden Jahres wirtschaftet die Zigarettenindustrie ausschließlich für den Staatshaushalt!“ fügt der VCI noch hinzu und weist auf die 21,6 Milliarden Mark hin, die im letzten Jahr in Theo Waigels Steuerkasse geflossen sind – immerhin 73 Prozent des Branchenumsatzes.

Doch trotz aufwendiger Werbefeldzüge wollen die Raucher in unseren Breitengraden nicht mehr werden. Etwa jeder vierte Bewohner Deutschlands genehmigt sich regelmäßig einen Nikotinflash, schätzen die Hersteller. Tendenz weiter sinkend. Bereits in den letzten 40 Jahren hat der Tabakkonsum in den Industrienationen um etwa die Hälfte abgenommen, so schätzen Anti- Rauch-Aktivisten. Gesundheitskampagnen, Werbebeschränkungen und Nichtraucherzonen haben also durchaus ihre Wirkung nicht verfehlt.

Dennoch müssen die Nikotinkonzerne nicht um ihren Absatz bangen: Zwei Prozent mehr pro Jahr haben sie sich vorgenommen. Die Wachstumsmärkte liegen auf der Südhalbkugel, das besagen die Rauchzeichen über dem Wiener Prater, wo sich die internationale Tabakbranche gerade zu einer Messe versammelt hat. Über 80 Prozent der Produktion aus Entwicklungsländern wird inzwischen auch dort konsumiert. Aus China, dem mit 3.160.000 Tonnen größten Tabakanbauer der Welt, wurden 1992 lediglich 79.000 Tonnen auf den Weltmarkt geworfen. Den Rest inhalieren die Chinesen und Chinesinnen selbst.

Besonders Frauen in der Dritten Welt geraten immer mehr ins Visier der Werbefachleute. Denn während nach einer Untersuchung von Panos Briefing im Auftrag der internationalen Gesellschaft über Tabak und Gesundheit (ASH) bereits jeder zweite Mann in der südlichen Hemisphere regelmäßig zur Zigarette greift, rauchen bisher nur acht Prozent der weiblichen Erwachsenen regelmäßig.

Auch wenn Markt und Anbau schwerpunktmäßig im Süden liegen, ändert das aber nichts daran, daß nur sechs multinationale Konzerne mehr als zwei Drittel der weltweiten Produktion außerhalb Chinas kontrollieren: American Brandts, BAT, Philip Morris, R.J.R. Nabisco, Rothmans und Japan Tobacco. Häufig schließen sie mit den Kleinbauern vor Ort unmittelbare Verträge, liefern ihnen Saatgut und Dünger und kaufen ihnen am Schluß die getrockneten Blätter ab. Allein in Afrika nahm die Menge des angepflanzten Tabaks zwischen 1989 und 1992 um etwa 13 Prozent zu. In Brasilien gar, mit 760.000 Tonnen hinter China und den USA der drittgrößte Lieferant, wuchs die Menge im gleichen Zeitraum gar um 41 Prozent. Dennoch gibt es weltweit nur zwei Länder, deren Einnahmen in bedeutendem Maße vom Tabak abhängen: In Simbabwe wird mehr als ein Drittel der Umsätze damit gemacht, und Malawi ist gar zu fast 77 Prozent vom blauen Qualm abhängig. Darüber hinaus gibt es aber auch viele kleinere Regionen, die stark von diesem Produkt leben.

Zum Beispiel die Westnilregion in Uganda: Etwa 10.000 Bauern mit jeweils nur ganz kleinen Feldern bauen Tabak an. Sie alle haben den gleichen Herren, denn BAT hat ein Monopol in dem afrikanischen Land. Einer von ihnen ist John Angiepado. 200 Kilogramm Tabak holten er und seine Familie 1990 nach neun Monaten von den Feldern, die 4.000 Quadratmeter groß sind. Dafür zahlte ihnen BAT magere 100 US-Dollar. Der Verband der deutschen Zigarettenindustrie aber wertet die arbeitsintensive Anbauweise als einen sozialen Pluspunkt ihres Produkts: Tabakanbau sichere etwa zwanzigmal so viele Arbeitsplätze, wie sie auf der gleichen Fläche mit Mais- oder Zuckerrohranbau möglich wären.

Aber weil BAT ihnen die gesamte Ernte abnimmt und sie außerdem durch die Düngerlieferungen abhängig sind, steigen die meisten ugandischen Tabakbauern nicht auf andere Produkte um. Auch in Kenia klagen viele Bauern, daß sie von BAT abhängig seien, weil sie dem Konzern Geld schuldeten.

Dabei verursacht der Rohstoff für den blauen Dunst enorme ökologische Probleme für die Region, wie der Forscher Ogen Kevin Aliro vom Panos-Institut nachgewiesen hat. Zum Trocknen der Blättchen benötigen die Bauern Holz. Inzwischen ist die Umgebung der Höfe längst kahlgeschlagen. Gab es in Uganda 1970 immerhin noch über 7.000 Hektar wiederangepflanzter Wälder, so ist ihre Fläche inzwischen auf 3.000 Hektar geschrumpft. Bodenerosion und Austrocknung sind die Folge.

Die Pflanzer müssen mit extremen Preisschwankungen zu rechnen. 1993 fiel der Rohstoffpreis um ein Drittel. Dieses Jahr ging er wieder um etwa den gleichen Wert in die Höhe. Insgesamt haben die Tabakpreise in den letzten zehn Jahren in absoluten Zahlen stagniert: 1984 konnte ein Landwirt im Durchschnitt 372 Cents pro Kilo erzielen – wobei die regionalen Unterschiede sehr groß waren. 1992 zahlten die Abnehmer mit 381 Cents nur unwesentlich mehr. Wenn man allerdings die Inflation hinzurechnet, ist der Rohstoffpreis in der letzten Dekade um etwa die 50 Prozent billiger geworden. Die Kosten für Dünger und Pestizide hingegen sind real gestiegen. Obwohl mit vielen anderen Lebensmitteln mehr Geld zu verdienen wäre, bleiben viele Dritt-Welt- Bauern beim Tabak, weil sie die Vermarktung nicht selbst übernehmen müssen und die großen Konzerne normalerweise ohne Verzug zahlen.