„Golden“, aber doch Käfig

■ 15 Jahre offener Vollzug in Oslebshausen: Immer noch Ausgangssperre ab 21 Uhr

Rainer L. wirft noch einmal einen Blick auf den Garten mit den herbstroten Büschen, stellt das Fenster auf Kippen – weiter auf geht es ohnehin nicht –, schließt die Tür seiner Acht-Quadratmeter-Bude und verläßt das Gelände der offenen Vollzugsanstalt Oslebshausen durch das zwei Meter hohe bewachte Tor. Er setzt sich in die Straßenbahn, die Mappe mit den selbstgeschmierten Broten auf dem Schoß, und fährt zu seiner Arbeitsstelle, einer Autowerkstatt. Fast ein normales Leben. Nach der Arbeit zischt er mit den Kumpels noch ein Bier, verabschiedet sich allerdings früh: Spätestens um 21 Uhr muß er zurück sein, dann werden die fünf Pavillons der „Offenen Anstalt“, hinter der der burgähnlichen „Geschlossenen Anstalt“ gelegen, verriegelt.

Rainer L. ist einer von 108 Männern im offenen Vollzug. Er darf außerhalb der Anstalt arbeiten und bekommt reichlich Ausgang. Voraussetzungen für die Verlegung in den offenen Vollzug: Die Haftstrafe ist in 16 Monaten beendet, und von dem Gefangenen sind weder Flucht noch weitere Straftaten zu erwarten. Im Schnitt wird knapp 30 Prozent der Bremer Häftlinge der offene Vollzug gewährt, in manch anderem bundesland liegt die Quote bei 20 Prozent. Im offenen Vollzug Bremens leben derzeit 108 Männer und fünf Frauen, im geschlossenen sind es 270 Männer und 20 Frauen.

Manchmal allerdings verschätzen sich die JustizbeamtInnen: Da geht dann ein Betrüger doch wieder irgendwelchen „Geschäftchen“ nach, oder der Junkie wird mit der Spritze ertappt. Rund 27 Prozent der Häftlinge im offenen Vollzug versagen und müssen wieder in den geschlossenen Vollzug. Trotzdem bekommen auch Alkoholiker, Drogenabhängige und Starbetrüger eine Chance. Um den Übergang in die beschränkte Freiheit zu erleichtern, will man bald eine Zwischenstufe einrichten mit etwas mehr Kontrolle.

Auch Ausländer, deren Abschiebeverfügung im Raum steht, kommen in den offenen Vollzug – und zwar entsprechend ihrem Anteil im geschlossenen Vollzug (20 Prozent). Eine höhere Versagensquote gebe es da nicht, weiß der oberste Chef der Oslebshauser Anstalt, Hans-Henning Hoff. In Bayern und Baden-Württemberg bekämen Ausländer mit Ausweisungsverfügung nicht mal Urlaub.

Nun ist es auch Rainer L. passiert: Sonntagabend kehrte er nicht von seinem Ausflug zurück. Allerdings erschien er am Montag wieder auf der Arbeit und stellte sich abends den peinlichen Fragen des Anstaltsleiters. „Ich habe einen zuviel getrunken und den Rausch zuhause ausgeschlafen. Kommt aber nicht wieder vor“, verspricht er. Vor 15 Jahren, als bundesweit der offene Vollzug eingeführt wurde, hätte man ihn wieder in die Geschlossene verlegt. Heute bekommt Rainer L. nur den nächsten Wochenendausgang gesperrt. Allerdings: beim dritten Mal wäre er dann doch fällig. Schießlich sitzt er auch eine Strafe wegen Trunkenheit am Steuer ab.

Heute ist man in Oslebshausen nicht mehr so streng. Sonst bekäme man die offene Anstalt mit ihren 120 Plätzen überhaupt nicht voll. Denn, erklärt Hans-Henning Hoff, heute wandern nur noch die eher harten Fälle in den Knast, die anderen bekommen ihre Strafe auf Bewährung ausgesetzt. So hat sich die die Zahl der Häftlinge in den letzten 14 Jahren halbiert. Geblieben sind die „sozial Randständigen“, und denen falle es besonders schwer, den Versuchungen der Freiheit im offenen Vollzug zu widerstehen. Die Rückverlegungsquote ist deshalb zwischen 1987 und 1993 von 15 Prozent auf fast 24 Prozent gestiegen.

Ein goldenes Leben haben die Leute im offenen Vollzug trotz aller Freiheiten nicht: Jobs sind schwer zu finden. Große Firmen wie Mercedes oder Klöckner nehmen seit ihrem Stellenabbau niemand mehr aus dem Knast auf. Handwerker finden noch am ehesten was. Die Ungelernten landen vor allem bei Überlassungsfirmen. Für 12 Mark in der Stunde malochen sie dann im Hafen oder reinigen Schfffe. „Wir müssen manchmal Arbeitsverhältnisse zulassen, von denen wir am Anfang nicht wissen, ob sie koscher sind“, sagt Peter Grigun, Leiter der offenen Anstalt. Die Insassen sind dennoch froh über 12 Mark: Schließlich haben Häftlinge im Schnitt 30.000 Mark Schulden. Vom Verdienst müssen sie übrigens 14 Mark pro Tag an die Anstalt zahlen – ihre Unterbringung kostet das Land allerdings 140 Mark pro Tag.

„Zwar ein goldener Käfig, aber trotzdem Käfig“, sagt Grigun. Denn auch hier gibt es eine Zimmerkontrolle, wenn auch nur bei Verdacht auf gefährliche Gegenstände. Und der Insasse kann zwar sein Zimmer von innen abschließen, doch der Vollzugsbeamte kann es von außen trotzdem wieder aufschließen. Christine Holch