Schwules Herbsterwachen '94

■ Rainer Bielfeldt - ein schwuler Songwriter zu Gast im Jungen Theater / Chansons, oder: Die etwas andere Art der Wut / "Ich leide manchmal ganz gern"

Drei Männer verhelfen zur Zeit dem deutschen Chanson wieder zu neuer Blüte. Alle drei, Georgette Dee, Tim Fischer und Rainer Bielfeldt sind schwul. Ein Zufall? Das und anderes fragten wir den Hamburger Vorstands- und Aufsichtsratsvorsitzenden des Weltkonzerns Rainer-Bielfeldt-Records.

taz: Wie würdest du deine Musik beschreiben?

Rainer Bielfeldt: Das überlasse ich gerne anderen. Es ist Chanson drin, es ist Schlager und viel Bielfeldt drin. Was mich ärgert, ist, wenn ich auf Schlager festgelegt werde, da machen es sich die Leute zu leicht.

Schreibst du die Texte selber?

Fast gar nicht. Ich arbeite mit Edith Jeske zusammen, wohlgemerkt einer Hetera-Frau, was bei –Schwulentexten' interessant ist. Wir sind seit Jahren gut befreundet und sie schreibt sehr viel für mich, und wir für andere. Oft habe ich mit den Texten, die sie für Rainer Bielefeldt schreibt, eher Schwierigkeiten habe als mit denen, die sie für sich geschrieben hat. Das sind keine schwulen Texte, sondern einfach Liebeslieder aus der Sicht einer Frau, bei der ich das Gefühl habe, sie spricht meine Sprache.

Du sprichst kokettierend selbst von „Liedchen voller Schmalz“.

Das ist eine Zeile aus einem Stück von Edith. Tatsächlich habe ich keine Angst vor großen Emotionen. Aber wenn die Zuhörer von Schmalz sprechen würden, würde ich mir Gedanken machen.

Du hast gestern die Wildecker Herzbuben neu vertont. Ohne Anmeldung hätte das niemand gemerkt.

Bestimmt nicht. Aber es ist mir schon übel genommen worden, daß ich mich enttarne. Natürlich braucht es mehr, um einen guten Song zu machen. Ich habe nur versucht, an diesem Beispiel verschiedene, auch mein eigenen musikalischen Stilmittel zu zeigen.

Aber das bedeutet doch, daß der Text eine sekundäre Rolle spielt.

Die Gefahr ist immer da, das sieht man an der deutschen Liedlandschaft. Ich empfinde mich allerdings auch eher als Musiker denn als Texter. In jedem Fall kann die Musik durchaus Schwächen im Text gut verdecken.

Was sind gute Texte?

Wen ich wirklich Klasse finde, ist Heinz Rudolf Kunze, Edith Jeske, Kreissler.

Was macht ein gutes Lied aus, was ein schlechtes?

Das kann ich nicht formal erklären. Ein gutes Lied löst etwas aus, es muß berühren. Das ist natürlich subjektiv. Was mich zum Weinen bringt, kann dir am Arsch vorbeigehen.

Daran ist aber etwas verblüffend: Zur Zeit gibt es drei Menschen, die offensichtlich viele Menschen berühren und dadurch eine regelrechte Renaissance des deutschen Liedes einleiten. Diese drei, Georgette Dee, Tim Fischer und Rainer Bielfeldt, sind alle schwul. Wie erklärt sich das?

Ich weiß nicht. Ich möchte jetzt spontan Heterobeispiele bringen, nur fällt mir gerade keins ein. Georgette, Tim und mich unterscheidet natürlich einiges: Georgette und Tim sind Interpreten, und ich bin Schreiber. Ich fühle mich nicht in erster Linie als Interpret, sondern als Singer/Songwriter. Natürlich spiele auch ich auf der Bühne eine bestimmte Rolle, aber es ist nicht mein ganzes Ich auf der Bühne. Tim und Georgette sind Stars, auch, aber nicht nur auf den Bekanntheitsgrad bezogen. Trotzdem fällt unser Tun schon ins gleiche Genre, das der Chansons. Und das verlangt einen gewisse Art von Agrressivität, die nicht etwas rauszuschreit, nicht die Wut aus dem Leib haut, sondern eine Mischung ist zwischen Berührung, Trauer, und einer gewissen Gemeinheit. Vielleicht ist das eine bestimmte Art von Humor, die uns verbindet, ein gewisser Hang zum Sarkasmus, die den Biß in diesem genre ausmacht.

Also eher die intellektuell verarbeitete Wut?

Ja.

Die Kopfwut, die vielleicht gerade wegen der Körperbetontheit in der schwulen Szene ankommt? Warum gibt es keinen aggressiven Sound von Schwulen?

Das Gefühl der blanken, vielleicht sogar unkontrollierten Wut, das liegt mir relativ fern, und deshalb kommt es in meiner Musik auch nicht vor. Es kann durchaus sein, daß Aggression sich unter Schwulen anders artikuliert als bei Nichtschwulen. Wir sind sicher genauso aggressiv, aber auf eine kultiviertere, manchmal auch gemeinere Art.

Leiden Schwule mit Niveau?

Ich glaube schon. Dieser Satz von Edith stimmt wohl. Natürlich wird das Leiden auch sehr kultiviert, man darf sich als Schwuler Gefühle leisten, oder leistet sie sich, die sich Heteromänner nicht leisten.

Aber leisten sollten?

Ich denke, ja. Mit Niveau zu leiden, ist ja nichts Negatives. Ich leide manchmal gern und ganz bewußt. Lasse mich trösten, oder tröste mich selbst. Dauernd gegen meine Gefühle zu kämpfen, wenn ich traurig bin, ist meine Sache nicht.

Mit deinen 30 Jahren näherst du dich einem Alter, das unter Schwulen schon als hoch gilt. Was bedeutet das für deine Musik, kannst du dir vorstellen, noch mit 50 das Herzflimmern zu beschrieben?

Ich hoffe das. Dann sicher auf eine andere Weise. Mit meinem vielzitierten Jugendcharme kann ich dann nicht mehr bestehen, das ist dann mein Problem. Ich weiß nicht, wie es sein wird, aber es stimmt, daß der Körper- und Jugendkult bei Schwulen so groß ist, daß die Älteren das Nachsehen haben.

Sind die Geschichten eigentlich wahr, die du auf der Bühne erzählst?

Sie haben immer einen wahren Kern. Ich würde allerdings nie Geschichten aus meinem Privatleben erzählen. Ich versuche, persönlich zu sein, aber nicht privat.

Dein Auftritt war eingegliedert in das „Herbsterwachen 94“. Spürts du das Herbsterwachen? Die Frage ist erotisch und politisch gemeint.

Ich bemühe mich eigentlich, immer wach zu sein, erotisch und politisch.

Der Ruf nach der europäischen Jugend verhallte jedoch weitgehend im Nichts, es kamen nur wenig Leute. Hat die Schwulen- analog zur Frauenbewegung ein Generationsproblem?

Das läßt sich so nicht verallgemeinern. In Hamburg, wo vor einiger Zeit ebenfalls ein schwules europäisches Jugendfestival stattfand, waren sehr viele Gäste. Ich glaube nicht, daß die Jüngeren unengagiert sind. Sie haben vielleicht eine nur eine andere Art, sich zu organisieren als die Bewegungsschwestern.

Fragen: Dora Hartmann