: Neue Luft in alten Reifen
Güterverkehrszentren am Stadtrand von Berlin sollen Warentransport beschleunigen / Weniger LKW-Verkehr ist kaum zu erwarten ■ Von Hannes Koch
Mancher LKW-Fahrer braucht Stunden, um mit seinem Brummi vom Berliner Autobahnring zum Kunden ins Stadtzentrum vorzudringen. Seit der Vereinigung macht der rasant wachsende Autoverkehr verstopfte Straßen und diese den Liefertermin zur unkalkulierbaren Variablen. Erreichen die Schwerlaster schließlich Supermärkte und Kaufhäuser, wird das Abladen zum Problem, weil der Bordstein zugeparkt ist. Zunehmender Wirtschaftsverkehr mit großen LKWs mitten in der Stadt nervt nicht nur die AnwohnerInnen, auch das Speditionsgewerbe ist unglücklich über die Dauerstaus. In Zeiten sinkender Gewinnspannen drohen weitere Produktivitätsverluste. „Rumstehen bringt kein Geld“, weiß Klaus-Dieter Martens vom Verband der Spediteure in Berlin und Brandenburg. „Der Verkehr muß neu organisiert werden.“
Die Botschaft ist mittlerweile auf der politischen Ebene angekommen. Die Landesentwicklungsgesellschaft Brandenburg (LEG) plant den Bau dreier riesiger Güterverkehrszentren (GVZ) im Speckgürtel rund um Berlin, die die Warenströme in die Stadt bündeln und beschleunigen sollen (siehe obige taz-Grafik). Bei Wustermark wurden unlängst zwei Bäumchen gepflanzt – die Entwicklung des 272 Hektar großen Areals 15 Kilometer westlich der Hauptstadt hat damit begonnen. Auch die Arbeiten in Großbeeren (Süden, 260 Hektar) und Freienbrink (Osten, 130 Hektar) sind in der Startphase. Während in Wustermark und Großbeeren die Verkehrsträger Straße, Schiene und Wasserweg miteinander verknüpft werden, fehlt letzterer am östlichen Standort.
Zwei entscheidende Vorteile bieten die Verteilzentren am Stadtrand. Zum einen wird durch die geplanten Containerterminals das Umladen von der Bahn zum LKW schneller und billiger, was LEG-Planer Hans-Friedrich Rockstuhl hoffen läßt, den überregionalen Güterverkehr „brechen“ zu können. Die andere Verbesserung wird mit dem Begriff „City- Logistik“ beschrieben. Wenn das neue Konzept umgesetzt wird, bündeln und koordinieren die Speditionen ihren Warenverkehr.
Konkret: Kommen Lebensmittel, Maschinenteile, Stückgut per Bahn in Wustermark an, werden sie nicht länger von jedem einzelnen Spediteur mit halbleeren Lastwagen in die Stadt gefahren. Weil Dutzende von Fuhrunternehmen auf dem neuen Gelände Halle an Halle arbeiten, können sie gemeinsame LKW-Ladungen zusammenstellen. Statt dreier nur zum Teil gefüllter Wagen soll ein voller fahren. Das erhöht die Auslastung der Fahrzeuge und senkt die Kosten. Vielleicht hat es sogar zur Folge, daß kleinere und kostengünstigere LKWs eingesetzt werden.
Im Prinzip bleibt jedoch auch mit dem neuen Logistik-Konzept alles beim alten: Die Straße trägt die Hauptlast, eine Verlagerung auf die Schiene findet nicht statt. Zwar sind kleine LKWs in den Wohnvierteln nicht so störend wie Schwerlaster, aber die Vorteile der Bündelung werden mit großer Wahrscheinlichkeit von der zu erwartenden Steigerung des Gütertransports wieder aufgefressen. Während heute etwa 30 Millionen Tonnen Waren jährlich in die Stadt gebracht werden, könnte sich das Aufkommen bis 2000 verdoppeln, bis 2010 gar verdreifachen, schätzt der Senat. Die Güterverkehrszentren gelten bei der Landesentwicklungsgesellschaft Brandenburg deshalb als Teil des „Krisenmanagements, nicht als Allheilmittel“, so Sprecherin Frauke Nippel.
Neben neuen Bundesstraßen und Autobahnanschlüssen werden von Wustermark, Großbeeren und Freienbrink auch neue Bahnstränge in die Stadt gelegt und alte saniert. Trotzdem macht der Bahnverkehr mittelfristig nur einen geringen Teil des Gesamtverkehrsaufkommens aus. LEG-Mitarbeiter Rockstuhl nennt den Grund: „Der Transport mit der Bahn nach Berlin ist zu teuer. Es gibt zu wenige komfortable Güterbahnhöfe in der Stadt.“ Die Betonung liegt auf „komfortabel“, denn grundsätzlich sind Gleisanlagen und Platz durchaus vorhanden, doch häufig ist die Infrastruktur auch vier Jahre nach der Vereinigung noch in erbärmlichem Zustand. Der Berliner Verkehrsexperte von Bündnis 90/Die Grünen, Michael Cramer, gibt Senat und Bundesbahn die Schuld für die Misere. In die Renovierung der rund 53 Berliner Güterbahnhöfe werde kaum Geld investiert – statt dessen dominiere der Straßenbau.
Angesichts mangelnder Innovationsbereitschaft bei der Bahn wird wohl eine andere zukunftsweisende Idee einstweilen Utopie bleiben. City-Logistik müsse nicht unbedingt LKW-Verkehr bedeuten, erläuterte unlängst ein privater Spediteur während einer Veranstaltung in den Räumen der Wirtschaftsförderung Brandenburg. Denkbar sei es, „große Handelshäuser in Innenstadtlage mit öffentlichen Nahverkehrsmitteln zu beliefern, da gerade nachts die Straßenbahnen und Busse nicht genutzt“ würden. Voraussetzung dieses Konzepts, so der Spediteur, „ist natürlich die Ausweitung des Schienennetzes“.
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