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: So wird's nie wieder

■ „Die Geschichte der Oberliga Süd“ nennt Namen, die keiner mehr kennt

Im Mannheimer Vorort Neckarau ist die Fußball-Fangemeinde heute gespalten. Die einen ziehen in Blau-Schwarz zum SV Waldhof, die anderen wagen die wenigen Kilometer aus Mannheims Süden in Karlsruhes Norden zum KSC. Das war Ende der 40er/Anfang der 50er Jahre anders. Rund um den holprigen Platz an der Altriper Fähre standen die ob ihrer Euphorie gefürchteten Anhänger des VfL Neckarau und schrien manchen der – heute omnipotenten – Gegner von damals in Grund und Boden: 2:0 gegen 1860, 2:0 gegen den VfB Stuttgart, 4:3 gegen Bayern München. 44 Siege errangen die Neckarauer in vier Jahren Oberligazugehörigkeit. Und der Proletarier-Vorort, vor 1933 Hochburg der KPD und heute bevorzugter Wohnort gutsituierter Linksalternativer, hätte noch viel bekannter werden können. Aber am 14. Januar 1951 kam ihr Bester, der einmalige Nationalspieler Fritz Balogh, bei der Bahnrückfahrt von einem Spiel bei Bayern München ums Leben, als er aus dem fahrenden Zug fiel. „Er war ein Liebling des Volkes“, rief ihm der Stadtpfarrer nach.

Den Platz an der Altriper Fähre gibt es schon lange nicht mehr, und auch das „neue“ Waldwegstadion verfällt zusehends. Der letzte große Fußballer, der Neckarau verlassen hat, ist Gernot Roht, der heutige Leiter des „Centre de Formation de Haillan“ von Girondins Bordeaux.

Der VfL Neckarau ist nur ein Beispiel für viele. Die Liste der kleinen Vereine aus den großen Städten ist lang – Sportfreunde Stuttgart, FC Singen 04, Wacker München, FC Rödelheim. Abgestiegen, untergegangen, vergessen: Werner Skrentnys „Als Morlock noch den Mondschein traf – die Geschichte der Oberliga Süd 1945–1963“ stemmt sich gegen dieses Vergessen und setzt der Oberliga Süd und ihren Vereinen einen leicht nostalgisch angehauchten Gedenkstein. Fast erinnert die neugegründete Regionalliga Süd an die alte Oberliga; nur mit dem Unterschied, daß sie drittklassig ist und etliche identitätsstiftende Derbys auf Jahre verhindern wird. Doch genau diese hatten die Gründer der Oberliga Süd seinerzeit im Auge. Dr. Fritz Walter, damaliger Präsident des VfB Stuttgart, wurde in den ersten Tagen nach dem Krieg zum Mentor der Oberliga und komponierte gefühlvoll lokale Pärchen zum fußballerischen Cocktail zwischen Main und Isar. So war die süddeutsche Oberliga die erste in dem Land, das noch nach Besatzungszonen benannt wurde, und blieb auch sportlich fortan die Nr.1. Sechs deutsche Meister und sechs Pokalsieger brachte sie hervor und dazu mit der Frankfurter Eintracht die Mannschaft, die als erste deutsche 1960 ein internationales Endspiel (3:7 gegen Real Madrid) erreichte.

Bevor die auf Herbergers Drängen gegründete Bundesliga 1963 den leistungsmindernden Regionalismus beendete, ging der Meistertitel 1961 noch einmal in den Süden. Der 1. FC Nürnberg siegte mit dem 35 Jahre alten Max Morlock und einer ganzen Reihe von Spielern, die der eigenen Jugend entstammten, gegen Borussia Dortmund mit 3:0. Morlock, der bereits 1948 mit 2:1 gegen den 1. FC Kaiserslautern Meister geworden war, ist vor wenigen Wochen in Nürnberg gestorben. Der Weltmeister von 1954 lebte kurz nach dem Krieg in einem abrißwürdigen Dorfhaus und fand erst nach zweijähriger Suche eine adäquate Dreizimmerwohnung für sich und seine Familie. Bei der Renovierung und Ausstattung der Wohnung halfen ihm drei Mannschaftskollegen. Der Club zahlte keinen Pfennig. Max Morlock hatte am 30.11. 1941 für den Club debütiert. Und war schon 1947 zum Werbeträger geworden. Decubitan, die „Fußcreme der Sportkanonen“, warb mit dem Konterfei des Franken.

Es war einmal: Als der VfL Neckarau 1950 zum entscheidenden Aufstiegsspiel gegen Ulm 46 nach Heilbronn reisen mußte, war der Vorort an diesem Tag eine fast männerlose Gemeinde. So, erzählen Skrentny und seine Autoren, wird es nie wieder sein. Nicht nur in Neckarau. Günter Rohrbacher-List

Werner Skrentny (Hg.): „Als Morlock noch den Mondschein traf – die Geschichte der Oberliga Süd 1945–1963“. Klartext Verlag Essen, 240 Seiten, 44 Mark.