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■ Rundfunkstaatsvertrag wird zugunsten von Kirch und Bertelsmann liberalisiert

Am 31. Oktober 1994 beginnt die Zukunft des Fernsehens. Dann wird „Ariane“ den Fernsehsatelliten Astra 1 D in seine Umlaufbahn bringen. Der erste „Digitale“ bietet theoretisch Platz für Hunderte von Fernsehprogrammen. Die Technik ist einsatzbereit, nur noch ein Hindernis bremst die Evolution des Couch Potato zum Couch Commander: der geltende Rundfunkstaatsvertrag, in dem von Digitaltechnik noch kein Wort steht. Doch das soll sich jetzt schnellstens ändern.

Bei den Münchner Medientagen beherrschte letzte Woche ein konservativer Dreiklang die Bühne: Der Verfassungsrechtler Rupert Scholz (CDU), CSU- Staatssekretär Herbert Huber und Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber plädierten vehement für Deregulierung und Liberalisierung des Medienmarktes. Ihre plakative Botschaft: Mehr TV-Kanäle bedeuten mehr Auswahl, mehr Mündigkeit der Bürger. In der Berichterstattung beinahe vollständig überdeckt von seinem Todesgesang auf die ARD machte sich Stoiber für die Legalisierung von „Senderfamilien“ stark.

Sein Vorschlag für die Überarbeitung des Rundfunkstaatsvertrages, die im nächsten Jahr ansteht: Bei der Begrenzung von Meinungsmacht sollen künftig die Marktanteile („Quoten“) entscheidend sein. Nach diesem sogenannten „Medien-Nutzungsmodell“, von der Münchner Staatskanzlei vor einem Jahr ausgearbeitet, dürfen Fernsehveranstalter insgesamt bis zu 30 Prozent der Zuschauer erreichen. Neue Dienste wie Video-on-demand sollen keiner besonderen Konzentrationsregelung unterliegen.

Ein Freifahrtschein für die beiden großen „Senderfamilien“ Bertelsmann/CLT (RTL, RTL 2, Super RTL, Vox) und Kirch/Springer (Sat.1, Pro 7, Kabelkanal, DSF). Erstaunlicherweise findet diese „Neuregelung“ der Mediengesetze beinahe überall Anklang. Die Rundfunkreferenten der 16 Bundesländer etwa üben sich bei der Novelle des Rundfunkstaatsvertrages, der Anfang 1996 in Kraft treten soll, in Harmonie. Zwischen den beiden Fernsehhauptstädten München und Düsseldorf laufen die Drähte heiß. Ergebnis: „Die Diskussionen zeigen, daß sich die einzelnen Länder in den Grundsatzfragen auf Konsens einigen konnten“, kommentiert Dieter Bopp, Rundfunkreferent der Regierung von Nordrhein-Westfalen. „Der Wahlkampf zwischen der SPD und der Union spielte in unseren Verhandlungen überhaupt keine Rolle, weil der Rundfunkstaatsvertrag nur einstimmig ratifiziert werden kann“, assistiert Kollege Hansjörg Kuch aus der bayerischen Staatskanzlei.

Auch die bisher erfolglosen Medienkontrolleure wollen diese große Koalition nicht stören und geben dem Marktanteilsmodell ihren Segen. Allerdings fordert die Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM) eine niedrigere Obergrenze von 25 Prozent und zugleich Befugnisse, die denen des Bundeskartellamtes ähneln: weitreichende Einsichtsrechte in die Geschäftsunterlagen der Sender. Die Beschlagnahme von Dokumenten und eidesstattliche Erklärungen sollen künftig zum Instrumentarium der Kontrolleure gehören, damit klar wird, wer wem gehört und wer was mit Treuhandkonstruktionen verdeckt. Sollte sich dann nachweisen lassen, daß Pro 7 zum Kirch-Imperium zu rechnen ist (was einige Landesmedienanstalten bislang bestreiten), dann käme Kirch auf 27, die Bertelsmänner auf etwa 23 Prozent Marktanteil. Kirch hätte das Ende der 25-Prozent- Fahnenstange also schon passiert. Seiner Expansion wäre ein Riegel vorgeschoben.

In ihr Forderungspapier packten die Medienkontrolleure zusätzlich noch einen Passus, der sogleich als „Lex Kirch“ bekannt wurde: Als „Marktanteil“ sollen nicht nur die Einschaltquoten der eigenen Sender zählen, sondern auch die Programmanteile, die fremden Sendern zugeliefert werden. Das trifft Kirch mit seinem riesigen Filmarchiv.

Doch der Vorstoß der Medienkontrolleure läuft ins Leere. Denn Expansion wird es in der digitalen Zukunft nicht mehr bei den Vollprogrammen geben, sondern fast ausschließlich bei den neuen Dienstleistungen. Und die sollen, so Stoibers Vorgabe, nicht mehr kontrolliert werden.

Die bisher deutlichste Kritik dazu kommt von RTL-Geschäftsführer Helmut Thoma. Die gemessenen Quoten seien schließlich lediglich Hochrechnungen. „Wenn die Landespolitiker daraus juristische Konsequenzen ableiten wollen, wünsche ich ihnen viel Glück.“ Schützenhilfe bekommt Thoma von dem Hamburger Verwaltungsrechtler Professor Wolfgang Hoffmann-Riem: „Das Zuschauer-Marktanteilsmodell wird nicht funktionieren.“ Die Novelle ist für den Medienexperten lediglich „rituelle Politik-Aktivität, die niemandem wehtut“.

Von der mit Kirch verbandelten Union erwartet eigentlich auch keiner die Beschränkung von Medienmacht. Dafür enttäuscht die SPD hier doppelt. Von Rudolf Scharping bis zum Vorzeige-Intellektuellen Peter Glotz reicht die Schar derer, die im Zweifelsfall aus standortpolitischen und wirtschaftlichen Interessen den Schwanz einziehen. Nach anfänglicher und fundierter Kritik schwenkte zuletzt auch NRW-Ministerpräsident Johannes Rau auf die bayerische Linie ein. „Das Marktanteilsmodell kommt“, ist sich Stoibers Medienexperte Hansjörg Kuch jetzt sicher.

Die eklatante Rückgratschwäche der Politiker kommt nicht von ungefähr. Seit Monaten schüren Kirch und Bertelsmann die Angst vor der elektronischen Invasion durch die amerikanischen Medien- Multis. „Der Wirtschaftsstandort Deutschland kann sich jetzt entscheiden, ob er die zukünftigen Kommunikationsmärkte von Unternehmen mit Sitz in Tokio oder New York gestalten lassen will“, meint etwa Pro 7-Geschäftsführer Georg Kofler, „oder ob er den erfolgreichen einheimischen Medienunternehmen durch sinnvolle und angemessene Regelungen weiteres Wachstum in neue Multimedia-Märkte hinein ermöglicht“. Es sieht so aus, als hätte sich „der „Wirtschaftsstandort“ bereits entschieden. Michael Stadik