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Präsident Aristide gefangen im Machtdreieck

■ Die Regierungsbildung auf Haiti verdeutlicht das Dilemma des Präsidenten Aristide: Er muß den Ausgleich suchen, macht es keinem recht und verliert Autorität

Berlin (taz) – Präsident Jean- Bertrand Aristide hat entschieden: Neuer Regierungschef in Haiti soll der Unternehmer Smarck Michel werden. Damit geht Aristide auf Forderungen der haitianischen Unternehmer, der USA und der Geberländer ein, die Schlüsselressorts mit „moderaten“ Technokraten zu besetzen.

Noch vor acht Tagen hatte Michel das Angebot Aristides abgelehnt. Als Sponsor des Aristide- Wahlkampfes von 1990 gilt er durchaus als politischer Anhänger des Präsidenten. Jetzt aber habe er sich eigentlich, so wird ein Freund des Geschäftsmannes zitiert, „den Ärger ersparen wollen, mit Aristide zusammenarbeiten zu müssen“. Denn den Konflikt, der beide wieder beschäftigen wird, kennt Michel schon aus dem ersten Kabinett Aristides. Darin war der heute 57jährige Handels- und Industrieminister, nur kurze Zeit allerdings. Nach zwei Monaten hatten beide die Nase voll: Die Unentschlossenheit des Präsidenten in Wirtschaftsfragen, so wird berichtet, habe den Geschäftsmann genervt. Aristide seinerseits war verärgert, daß Michel sich weigerte, die Preise für Grundnahrungsmittel wie Reis herabzusetzen. Er warf Michel hinaus, und der widmete sich wieder seinen Geschäften – er ist Reis-Importeur.

Auch nach dem Putsch blieb Michel im Land. Als Aristide jetzt einen Premierminister suchte, winkte Michel erst mal ab. Und auch Robert Malval, der amtierende Premier, widerstand allem Druck der USA, seinen im Dezember 1993 eingereichten Rücktritt zurückzunehmen. Daraufhin brachte Aristide die „linke“ Außenministerin Claudette Werleigh ins Gespräch. Ergebnis: ein Sturm der Entrüstung in Wirtschaftskreisen. Denen galt Werleigh als ökonomisch inkompetent und als Anhängerin des polarisierenden Kurses, der Aristides erstes Kabinett ausgezeichnet hatte.

Mit dem Kompromißkandidaten Michel aber ist die Regierung noch nicht komplett, und auch andere Entscheidungen bergen Zündstoff. Als neuer Finanzminister etwa wird Leslie Delatour gehandelt, ein früherer Weltbank- Ökonom, der maßgeblich an einem von Aristide abgezeichneten und von den internationalen Finanzorganisationen gutgeheißenen Wirtschaftsprogramm mitgearbeitet hat. Er wäre die allererste Wahl der USA – bloß war er schon einmal Finanzminister in einer der überaus korrupten Regierungen der Übergangszeit zwischen Diktator Duvalier und Aristide. Rückt er ins Kabinett, könnte das Proteststürme bei Aristide-Anhängern auslösen.

Aristide vollführt einen Spagat. Holt er etwa seinen ersten Premierminister, den burschikos-linken René Preval, wieder ins Kabinett, sichert ihm das den Beifall seiner getreuesten Anhänger – und das verständnislose Abwenden anderer: „Preval? Selbst als Minister für Abwasserfragen wäre der Mann noch eine Katastrophe!“ sagte ein Berater des Präsidenten.

An der Regierungsbildung wird also abzulesen sein, wie sich die Kräfteverhältnisse in dem Dreieck von USA, Unternehmern und Aristides politischer Bewegung „Lavalas“ entwickeln. Aristide braucht alle drei, wird die Balance suchen müssen und das als „Politik der Verständigung“ verkaufen. Das geht allerdings nur, wenn er selbst Stärke zeigt. Die hinausgezögerte Entscheidung über den Premierminister setzt da keine guten Zeichen. Bernd Pickert

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