Bizarre Leute wie du und ich

■ Armistead Maupin las aus „Stadtgeschichten“ und dem neuen Roman „Die Kleine“

Für einen Kultautor, der mit seinen Stadtgeschichten-Romanen über skurrile Gestalten wie-du- und-ich weltweit sechsstellige Auflagenhöhen erzielt, stellte sich Armistead Maupin am Mittwoch abend recht unspektakulär, dafür um so humorvoller vor. Schon eine Stunde vor Beginn der Lesung hatten Fans eine Schlange vor dem Saal im Literaturhaus gebildet.

In seiner kurzen Einführung brauchte der Journalist Jan Feddersen die süchtigmachende Wirkung der sechs Stadtgeschichten-Romane kaum zu betonen. Sie würden vom deutschen Feuilleton zwar nicht so beachtet wie ein Handke oder andere hoffnungsfrohe Hochliteraten, doch zögen sie als Geheimtip unter echten Lesern immer größere Kreise. Buchhändler machten eben mit Ratgebern zu allen Lebenslagen die besten Geschäfte, und letzthin seien ja auch Maupins Geschichten aus der Barbary Lane 28 in San Francisco eine Art Ratgeber – für Menschen mit Sehnsüchten nach unkonventionellen Lebensentwürfen und -formen.

Ob später Hippie, schwuler Gynäkologe oder mütterliche transsexuelle Hausbesitzerin – unter dem Dach der Barbary Lane 28 leben die, die uns so exotisch anmuten, die aber wie wir ihr ganz normales Leben mal erfolgreich, mal beschaulich und mal von Liebeskummer und ähnlichen Katastrophen geschüttelt – in hierzulande noch ungewöhnlichen familiären Strukturen – meistern.

Begleitet von Kichern und mitunter lauten Lachern las Maupin, ein leicht rundlicher, stattlicher Herr mit grauem Haar und Schnauzbart, abwechselnd mit seinem deutschen Übersetzer Heinz Vrochta – übrigens ein Österreicher – aus seinem libertinen Mikrokosmos vor, den er durchaus seiner eigenen Nachbarschaft in San Francisco nachempfunden hat.

Eine reale Person nahm er auch zum Vorbild für seinen in Tagebuchform geschriebenen neuen Roman Die Kleine, zu dem ihn seine früh verstorbene Freundin Tamara De Treaux inspiriert hatte, die einst in der weltberühmten Gummi-Hülle namens E.T. gesteckt hatte. Vorgeblich um den Zauber des Außerirdischen nicht zu zerstören, hatte Star-Regisseur Spielberg dieses Geheimnis nie lüften wollen. Als De Treaux dennoch die Anonymität brach, schnitt er sie ebenso wie viele Film-Studios, weil man sie für „schwierig“ hielt. Als Ich-Erzähler in der Rolle der „Kleinen“, so Maupin, habe er sehr viel leichter und offener über die verlogenen Gaukeleien des Hollywood-Geschäftes und die Hoffnungen und Sorgen derer, die darin ihr Glück suchen, schreiben können.

Hingerissen lauschten im ausverkauften Saal die Schwulen und Lesben, Heteros und Bis jeden Alters. „Ganz erstaunlich warmherzig“, wunderte sich anschließend einer über die friedlich versammelte Szene, die sich anschließend wieder geduldig in die Reihe stellte, um ein Maupin-Autogramm zu ergattern. Julia Kossmann

„Stadtgeschichten“ und „Die Kleine“, Rogner & Bernhard, 2001