Auf Pilgerfahrt zum Röntgenbild

■ Eine ironische Inszenierung in der Galerie Cornelius Hertz, bei der das Heilige riecht

Bremens Gotteshäuser bekommen es dieser Tage mit einer ernsthaften Konkurrenz zu tun. Das HEILIGE nämlich ist Thema einer Inszenierung von Isolde Loock in der Galerie Cornelius Hertz. Mit Musik, Bild, Sprache und Duft regt die Künstlerin alle Sinne der Besucher dazu an, sich mit dem Übersinnlichen einzulassen. Dies freilich hat nichts mit Esoterik oder sonstigem modischen Mystizismus zu tun. Vielmehr ist es eine Herausforderung an das Denken, das schließlich zumindest nach der Tradition von Aufklärung und Rationalismus weit über der Sinnlichkeit angesiedelt ist. Was den Galeriegast erwartet, ist also kein New- Age-Getue, sondern im Gegenteil ein glasklar inszeniertes Gesamtkunstwerk voller ironischer Brechungen. Das geht schon im Treppenhaus los: Dort flimmern über einen Bildschirm rotblaue Farbmuster, begleitet von den Klängen einer Komposition der „ersten Multimedia- Künstlerin, die auch noch heilig gesprochen wurde“, wie Isolde Loock erklärt, nämlich Hildegard von Bingen, die im 11. Jahrhundert als Schriftstellerin, Komponistin und Ärztin lebte.

Was aber zeigt der Film auf dem Monitor? Es sind verfremdete Makroaufnahmen einer chirurgischen Operation, in der aus einem Stück Dünndarm eine neue Blase aufgebaut wird. Eine Körpertransformation mit dem Ziel der Heilung. Und das Heilige ist in seinem begrifflichen Ursprung bekanntlich aus dem Heilen abgeleitet.

Der augenzwinkernde Verweis auf den Patienten als Märtyrer der modernen Medizin stimmt den Besucher auf die Ironie ein, die ihn als durchgängiges Moment in den weiteren Räumen erwartet. Deren erster überrascht zunächst mit leeren Wänden und verlangt den himmelwärts gerichteten Blick zur Decke, zwischen deren ausgesparten Stuckbahnen eine jubilierende Menge nach Art der Sixtinischen Kapelle prangt. Ein ursprünglich briefmarkengroßes Foto aus einer Sportzeitung, vieltausendfach vergrößert. Titel: „Stars – to help the nations“. Bei der Eröffnung „sahen die Leute auf diesem Bild alles – zwischen Rosen und Höllenfeuer“, freut sich Isolde Loock, während der Kritiker in andächtiger Genickstarre vor den Heiligen des Medienzeitalters noch die Portraits der Künstlerin und des Galeristengönners sucht, die nach Renaissance-Tradition in das Bild eingeschmuggelt sind.

Entspannung für den Hals bietet der in kühlem blau gehaltene nächste Raum mit dem Titel „most lucent company“. Eine sehr erleuchtete Gesellschaft, in der Tat: lauter Röntgenbilder, Durchleuchtete. Moderne Ikonen, mit aufgedruckten Begriffen versehen, samt dem dazugehörigen Heiligen. Etwa dem Hl. Fortunatus, dessen Tag der 14. 10. war, und der für allgemeines Gelingen steht, weswegen die Eröffnung auch an seinem Datum stattfand und die ganze Inszenierung „Heiliger Fortunatus and 3company“ getauft wurde. Der Clou dabei: Jeder Besucher kann sich für 500,- DM seine eigens von der Künstlerin gefertigte Ikone bestellen. Die hilft dann garantiert gegen Zahnschmerz oder für Karriere, Kinderwunsch oder Lottogewinn. Vier solcher lebenswichtiger Sehnsüchte werden dann auch im letzten Raum auf kleinen Monitoren von gefilmten Zeitgenössinnen in einer Endlosschleife wiederholt. Um sie zu verstehen, muß man sich allerdings schon hinknien, denn die Bildschirmwinzlinge liegen auf dem Boden dieses verdunkelten Allerheiligsten. Nachdem man zu Beginn also den Kopf erwartungsvoll in die Lüfte reckte, findet man sich am Ende mitten im prof ansten Technik-Arrangement andächtig kniend wieder. Und daß man dies alles tatsächlich genießt, dafür gibt's sogar eine Garantie. Wie dies? Ganz einfach: An der Schwelle zu den Galerieräumen steht eine Säule, der ein dezenter Duft namens „Vision“ entströmt. Dessen positive Wirkung auf die Stimmungslage der Besucher ist durch Tests verbürgt. Weswegen dieser postmoderne Weihrauch für gewöhnlich in den Konsumtempeln der neuen Welt zum Einsatz kommt. Wo auch sonst. Nicht nur ihm aber verdankt sich das Credo des Kritikers, das da lautet: Mögen viele Leser sich auf Pilgerschaft in dieses ironische Lourdes begeben, um sich vom gekonnten Spiel mit Kunst, Religion und Kitsch betören zu lassen!

Moritz Wecker

Die Ausstellung von Isolde Loock in der Galerie Cornelius Hertz ist noch bis zum 11.11. zusehen v