„So viel Arbeit wie es geht“

■ Wollkämmerei: Mehr Arbeit für's Geld und weniger Urlaub für den Erhalt der eigenen Firma / Zwischenbericht eines ungewöhnlichen Tarifvertrags

Ein Tarifvertrag, der für Wirbel gesorgt hat: Die Wogen gingen hoch, als im Februar Geschäftsführung und Gewerkschaften den Haustarifvertrag für die Bremer Wollkämmerei unterzeichneten. Der Vertrag hatte es in sich. Die Beschäftigten sollten statt 37,5 nun 40 Stunden arbeiten, aber für dasselbe Geld. Das Weihnachtsgeld wurde von 90 auf 60 Prozent des Bruttolohns gesenkt, und der Jahresurlaub von 30 Tagen auf 27 beschnitten. Alles in allem rund zehn Prozent Mehrarbeit für lau. Und das hatte einen Grund: 17 Millionen Mark Miese hatte die BWK im vergangenen Jahr eingefahren. Die drastischen Einschnitte im Personalhaushalt waren der Rettungsanker für die ganze Firma, und da konnten sich die Gewerkschaften nicht entziehen. Bis zum Juli, denn da kündigte die Gewerkschaft Textil und Bekleidung den Vertrag. Seitdem wird nachverhandelt, allerdings nicht die Mehrarbeit, sondern Maßnahmen zur Humanisierung der Arbeitswelt. Die Gewerkschaft hatte unter einem enormen Handlungsdruck gestanden. Reihenweise waren die Mitglieder ausgetreten. Der BWK-Vertrag, eine Zwischenbilanz:

„Mit der Presse will ich eigentlich gar nicht mehr reden.“ Henning Eichenauer hat ziemlich schlechte Erfahrungen damit gemacht, in der Öffentlichkeit über laufende Tarifverhandlungen zu reden. Als die Kündigung des Tarifvertrages bekannt geworden war, da war der Bremer Geschäftsführer der Gewerkschaft Textil und Bekleidung (GTB)mit Anfragen bombardiert worden. „Und hinterher hat alles völlig falsch in der Zeitung gestanden, und das hat die Unruhe im Betrieb geschürt.“

Unruhe im Betrieb, das ist das letzte, was die GTB brauchen kann. Die hat sie in den vergangenen Monaten genug gehabt. Scharenweise sind die Mitgleieder davongelaufen, als der umstrittene Tarifvertrag unter Dach und Fach war. Unruhe unter den Beschäftigten, weil trotz einer betriebsinternenn Umfrage die harten maßnahmen vielen nicht so ganz eingeleuchtet haben. Eichenauer: „Daß in England billiger produziert wird und wir deshalb nicht mehr wettbewerbsfähig sind, das können Sie einem deutschen Arbeitnehmer nur schwer klarmachen. Da sind ein paar Schreier durch den Betrieb gelaufen und dann aus der Gewerkschaft ausgetreten. Aber deshalb sagen wir nicht, unser ganzes Handeln war falsch.“

Die schlechte Stimmung in der Belegschaft war jedenfalls Grund genug für die Gewerkschaft, den Vertrag zu kündigen. Maßnahmen zur Rettung des Betriebsfriedens, die scheinen auch nötig zu sein. Schließlich ist der Krankenstanbd seit Einführung der neuen Arbeitszeiten kräfitg nach oben gegangen. Die Einschnitte allerdings bleiben, jetzt soll das konkretisiert werden, was der Vertrag nur im Prinzip festgelegt hat: Maßnahmen zur Humanisierung der Arbeitswelt, zum Beispiel ein neues Schichtsystem. Doch wie diese Humanisierung aussehen könnte, darüber schweigt sich der Gewerkschafter genauso aus wie die Geschäftsführung. Verbesserungen kommen ohnehin erst, wenn die Firma aus den gröbsten Schwierigkeiten heraus ist.

Es scheint, als sei sie auf dem besten Wege. Nach dem Einbruch im vergangenen Jahr hat sich die wirtschaftliche Situation erheblich verbessert. Im September 93 waren in der Europäischen Union die italienische Lira, das britische Pfund und der belgische Franc abgewertet worden, und das hat die BWK in eine tiefe Krise gerissen. Mit der Abwertung der anderen Währungen waren die Konkurrenten der Wollkämmerei plötzlich wesentlich billiger als die beiden deutschen Anbieter aus Bremen und Leipzig. Das Resultat waren die roten Zahlen der BWK am Jahresende und dem Bremer Unternehmen drohte das Schicksal, das wenig später einen der belgischen Anbieter ereilte. Die Firma machte Konkurs.

Das blieb den BremereInnen erspart, und glaubt man den Gewerkschaften und der Geschäftsführung, dann hat der Tarifvertrag daran einen wesentlichen Anteil. Im ersten Halbjahr 1994 sind die Verluste des Unternehmens zurückgegangen, mit etwas Glück sieht das Jahresergebnis freundlich aus. „Wir hoffen auf ein Ergebnis von plusminus null“, sagt Gerhard Harder, als Mitglied des BWK-Vorstandes mit den Tarifverhandlungen betraut. Die internationale Konkurrenz wurde unter anderem durch die Pleite in Belgien entspannt. Aber die positiveren Rahmenbedingungen allein hätten nicht ausgereicht, die BWK zu halten. Harder: „Die Einschnitte waren notwendig, und wir sind noch nicht am Ende.“ 100 Entlassungen hat es in diesem Jahr schon gegeben, knapp 1.000 Beschäftigte hat die BWK noch. Weitere hundert sollen nach den Vorstellungen der Geschäftsführung noch ihren Job verlieren. Der Gewerkschaftssekretär: „Wir wollen so viel Arbeit halten, wie es geht.“ Dafür sollen jetzt innerbetriebliche Qualifizierungsprogramme installiert werden, um mit besser ausgebildetem Personal in Zukunft rationeller produzieren zu können. Klar ist, daß die Firma nur überleben kann, wenn die Produktivität pro MitarbeiterIn erhöht wird. Daher bleiben Zweifel, ob es am Ende bei 200 Entlassenen bleiben wird. Eine Untergrenze hat der Tarifvertrag allerdings festgelegt: 800 Beschäftigte sollen mindestens gehalten werden. J.G.