Von der Totalverwaltung des Körpers

■ Krankheit als Lebensfaktor: Michael Benders Aids-Studien in der Galerie caoc

Aids ist keine Metapher, die Krankheit hat eine eigene Sprache. HIV-Infizierten erschließt sich diese oft nur als eine Anhäufung von Zahlen, Fakten und Ungewißheiten bis zum Schluß. Sobald der Bluttest positiv ausgefallen ist, folgt mit der Behandlung eine umfassende Klassifizierung des Körpers. Er wird beinahe vollständig neu mit Blutwerten, Zellanalysen und Krankheitsbildern definiert. Der Angst vor einer solchen Totalverwaltung begegnen einige Initiativen, indem sie den Test boykottieren.

Michael Bender ist im Juni an Aids gestorben. Seit 1991 hat der Kunsthistoriker den Verlauf seiner Krankheit festgehalten und versucht, die medizinisch-technischen Formeln wieder in Selbstwahrnehmung zu übersetzen. Bei jedem Test hat er sich einige Tropfen Blut abfüllen lassen und damit schlichte Kreuze als „Blood Paintings“ auf handgeschöpftes Büttenpapier gemalt.

Das Kreuz ist das zentrale Motiv der Ausstellung „Medical Research“ in den Räumen der Galerie + Edition caoc. Zum einen wird damit die Arbeit von Joseph Beuys zitiert, insbesondere dessen Aktion „Zeige Deine Wunde“, auf die auch andere Bilder anspielen, etwa die verschwommene Fotokopie einer Bahre.

Für Bender jedoch ist das Konzept der „sozialen Plastik“ und der damit verknüpften Utopie einer Verschmelzung von Kunst und Leben ganz konkret zur eigenen Biografie geworden. Das Kreuz als Symbol markiert kein transzendentales Subjekt mehr. Es ist das abstrakte Zeichen der Krankheit, das Bender dem sterbenden Körper im wortwörtlichen Sinn entnimmt.

Dieser Umgang mit dem Inneren des Körpers wird durch Bilder vom alltäglichen Umgang mit Aids ergänzt: Beipackzettel für Lungenmedikamente, die Bender kopiert, versiegelt und in Wachs getaucht hat; Wundkompressen, die zu kleinen Stapeln als Wandobjekte arrangiert sind; und zuletzt eine 19teilige Serie mit Laborberichten von Blutbildern in Wachs gedruckt, die die Entwicklung und Ausbreitung der Krankheit in einer Vielzahl von Mikroeinheiten und Prozentsätzen festhalten. Die analytische Grammatik der Medizin wird durch das weiche Material zurück an einen persönlichen Umgang mit Aids gebunden.

Es ist, als wollte Bender kein Detail aus seinem Leben weglassen: Auf dem Flur der Galerie hängen vier Foto-Prints aus Pornos, daneben kleine Drucke mit den Röntgenaufnahmen seiner Lunge. In einem anderen Raum sind großformatige Fotos seiner durchleuchteten Augäpfel zu sehen – bevor sie der CMV-Virus allmählich erblinden ließ.

Auf Benders Bildern ist die Krankheit zugleich ein kalter Faktor seines Lebens, den er doch aus einer milden Distanz ästhetisch vermittelt. Benders „Medical Research“ ist nicht weit von Derek Jarmans „Blue“ entfernt. Harald Fricke

Die Ausstellung „Medical Research“ mit den Studien von Michael Bender ist noch bis 19. November in der Galerie caoc zu sehen, von Dienstag bis Samstag jeweils 14-18 Uhr, in der Schliemannstraße 23, Prenzlauer Berg.