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Mancher kriegt nur eine Honda-Tüte

■ Mit Lotterien, bombastischen Repräsentationen und schönen Frauen lockt die Autoindustrie die Besucher auf die AAA / Die Veranstalter rechnen mit 250.000 Besuchern der Internationalen Ausstellung

„Was glauben Sie, was sich die Leute alles einfallen lassen, um die Zahl von mir zu erfahren“, seufzt Angelika vom Subaru-Stand. Ihre Firma in Halle 18 verschenkt auf der Auto-Ausstellung Berlin AAA 94 einen Legacy GX im Wert von 48.440 Mark. Man muß nur die richtige Zahl erraten. Deshalb drängen sich Horden von Messebesuchern bei Subaru.

Insgesamt sind seit der Eröffnung der Ausstellung am vergangenen Samstag rund 180.000 Menschen zum Messegelände an der Masurenallee gepilgert. Wie viele von ihnen schon ihr Glück bei der Verlosung des Legacy versucht haben? „Sehr, sehr viele!“ sagt die 36jährige Hostess aus Saarbrücken, die neben der Glasvitrine mit Kombinationsschloß hockt, in der die Schlüssel für das Mittelklasseauto auf einem Kissen liegen. Jeder Besucher hat einen Versuch, die richtige Zahl herauszufinden. Er muß seine Zahl auf eine Karte schreiben und sie auf der Tastatur eingeben. Bei acht richtigen Ziffern würde sich die Tür öffnen und den Autoschlüssel freigeben.

Angelika, die vorgibt, die Geheimzahl zu kennen, erzählt, daß sie seit Messebeginn bereits 360 Einladungen zum Abendessen abgelehnt hat. „Sag's mir doch, ich sag es auch nicht weiter!“ und: „Komm, wir machen Halbe- Halbe“, äfft sie mit verstellter Stimme die Bestechungsversuche nach, während ihr ein Halbwüchsiger, in der Hoffnung, einen weitreichenden Tip zu kriegen, schöne Augen macht. Sie: „Was willst du denn mit dem Auto, du hast doch noch nicht mal einen Führerschein?“ Er: „Stimmt, aber was glaubste, wie schnell ich dann 'ne Pappe hab'!“ Die zerbrechlich wirkende junge Frau mit den straff nach hinten gekämmten Haaren hat rote Augen und ist müde. „Mein Gott, wenn doch endlich einer den Wagen gewinnen würde! Dann könnte ich nach Hause gehen“, klagt sie. Tausende Messebesucher ziehen täglich durch die Hallen, um die Exponate der 252 Aussteller aus 13 Ländern zu begaffen. Die Veranstalter rechnen mit mehr als einer viertel Million Schaulustigen bis zum Ende der Messe am kommenden Sonntag. Neben dem Neuesten auf dem Pkw-Sektor von Volvo, Nissan, Mazda, Peugeot Talbot und Skoda, sämtlichen Variationen tornadoroter, candyweißer, brombeervioletter und mystikblauer Mittelklassewagen, nutzen auch Zubehörhändler und Spezialausstatter die Messe zur Repräsentation ihrer Entwicklungen. Besonders auffällig: Die Wagen des Stahnsdorfer Elektrowagen-Herstellers Arton. Dieser benutzt die AAA zur Vorführung des „Birdie“, eines Elektro-Sportflitzers, der es auf eine Geschwindigkeit von 180 km/h bringt. Eine Welturaufführung. Mit seinen Nickel- Cadmium-Akkus soll der „Birdie“ bis zu 200 Kilometer weit fahren können. Vergleichsweise ausgereifte E-Wagen-Modelle wie der City-Stromer von VW erreichen bislang Geschwindigkeiten von maximal 100 Kilometern und weitaus geringere Reichweiten. In Kürze soll nun die Fertigung einer auf 200 Wagen limitierten Serie beginnen. Doch die Masse der Besucher hat andere Interessen. Sie gelten überwiegend den ausgefallenen und extravaganten Autos der gehobenen Preisklasse.

„Guggema Helga, das sind die ganz Preiswerten!“ frotzelt ein Mittdreißiger in breitem sächsischem Akzent angesichts der Rolls Royce und Bentleys, während er schnaubend zwei Tüten Prospekte durch die Halle 23a schleppt. Wenn er schon keins dieser ausgefallenen Modelle besitzen kann, will er wenigstens zu Hause davon träumen – oder ersatzweise eine Tüte mit dem Aufdruck „Honda“ Gassi führen.

Die Automobilindustrie hat alles aufgeboten, um die Sehnsüchte der Menschen anzustacheln. Mit aufwendigen Werbefilmen und hübschen Frauen, die repräsentieren, was für sich sprechen sollte, wird der Besitzwunsch aufs äußerste angestachelt. „Ganze 51 Zentimeter kürzer geworden ist er, der neue Polo!“ verkünden die Zwillinge am VW-Stand. Eine der beiden Frauen steht auf einem sprungturmartigen Gebilde, das aus einer silbrig glänzenden Säule herauswächst. Während sie die Fahreigenschaften des Wagens wie von der Kanzel predigt, werden auf einer Riesenleinwand abwechselnd der Grand Canyon, die Alpen und pittoreske Schluchten gezeigt. Dazu wird ein Polo hydraulisch herumgeschaukelt. Erstaunt geöffnete Münder angesichts der beinahe religiösen Inszenierung, die an ein Jubelfest durchgedrehter Evangelisations-Sekten erinnert. Entsprechend lautet die Botschaft dann auch: Gehet hin und kaufet. Und so erklärt sich, weshalb neben Autoherstellern, Zubehörlieferanten, Schnickschnackdealern und Automobilclubs zahlreiche Kreditinstitute auf der AAA 94 vertreten sind. Damit die Träume nicht umsonst geschürt werden. Peter Lerch

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