Der Tod ist eine Privatangelegenheit

■ „Ecce Homo“ einer der wichtigsten neuen Filme zum Thema Ex-Jugoslawien von der Regisseurin Vesna Ljubic, war auf dem Festival Mannheim/Heidelberg zu sehen

In Zelimir Zilniks „Tito zum zweiten Mal bei den Serben“ verkleidet ein Schauspieler sich als Tito und geht auf den Straßen von Belgrad spazieren. Es kommt zu Lubitsch-haftem, direktem Straßentheater mit Passanten und nach dem Zufallsprinzip.

Sie stellen dem „Wiederauferstandenen“ Fragen, spielen ironisch mit der Situation, Tito scheint nichts von seinem Charisma eingebüßt zu haben, dank dessen der Partisanenführer nach dem Zweiten Weltkrieg zur Identifikationsfigur im Pulverfaß Jugoslawien wurde.

„Wenn du nicht gewesen wär'st, hätten wir heute Gauleiter hier“, sagt ein alter Mann, eine Frau will endlich wissen, warum auch er Lager bauen ließ und was er da oben jetzt so treibe.

Eine Politbürositzung mit Lenin, Marx und Konsorten jage die andere, meint der Titodarsteller schlagfertig, am Ende von Zilniks hintersinnigem Spiel mit Realität und Fiktion hat man mehr von der zerklüfteten Geschichte Ex-Jugoslawiens kapiert als nach manch angestrengter Dokumentation.

Es war einer der überzeugendsten Beiträge des diesjährigen Schwerpunktes „Kino im Krieg“ auf dem Festival Mannheim/Heidelberg.

Auffallend unter den insgesamt 17 Filmen auch „Ecce Homo“. Man kennt sie inzwischen, sie kommen in jeder Dokumentation aus Sarajevo vor: Die Wasserbehälter und Taschen mit Brennmaterial, mit denen die Menschen in der belagerten Stadt an Straßenmündungen vorbei und möglichst schnell über offene Plätze hasten.

Wenn irgendwo ein Schuß kracht, zucken sie zusammen, gehen geduckt weiter, der Blick irrt in alle Richtungen – ein Ablauf, den Vesna Ljubic zu einer Bildkomposition verdichtet, dazwischen ein Mädchenchor im skelettierten „Hotel Europa“, eine elegant gekleidete Frau mit Wasserkanistern und ein Schlitten, unter dessen Kufen kleine Rollen montiert sind, auf ihm liegen Holzscheite.

Immer wieder inszeniert die Regisseurin die Insistenz der Bewohner Sarajevos auf einem würdigen Vorkriegsleben.

Als sie den Dirigenten des Mädchenchors, der überall in den Straßen von Sarajevo singt, bat, der Chor möge doch im ausgebombten „Hotel Europa“ seine Version der „Schönen, blauen Donau“ singen, kamen die Anwohner aus dem Viertel schön angezogen und mit ihren letzten Kerzen.

Witzig und vor allem unwirklich wirkt es, weil Vesna Ljubic ihr dokumentarisches Material so schnitt, daß man immer wieder meint, sie habe Situationen gestellt. „Ecce Homo“ war zum erstenmal in Westeuropa zu sehen, nachdem italienische Journalisten das Filmmaterial zum Entwickeln nach Rom und wieder zurück nach Sarajevo geschmuggelt haben.

Sie zeigt ein Paar, das auf der Straße geht. Ein Schuß fällt, er sackt zusammen, die Szene wirkt seltsam irreal. Auf meine Frage, ob sie Distanz schaffen wolle, erklärte Vesna Ljubic, der Mann sei tatsächlich von einem Heckenschützen niedergeschossen worden.

„Daß ich diesen brutalen Vorgang so distanziert zeige, hat damit zu tun, daß der Tod meiner Ansicht nach eine Privatsache und keine Ware für Nachrichtensender ist, obwohl jeder, der sich heute in Sarajevo mit einer Kamera hinstellt, innerhalb kurzer Zeit mehrere solcher Szenen filmen kann.“

Befürchtet sie nicht, der Zuschauer könnte das Ganze als fiktive Szene wahrnehmen?

„Nein. Ich denke, daß man als Regisseurin das Recht hat, auch die brutalste Szene ästhetisch zu betrachten, ohne damit den dokumentarischen Gehalt zu beeinträchtigen.

Wenn zum Beispiel im Fluß ein Granate einschlägt und zwei Menschen sterben, die dort gerade Wäsche waschen, hätte ich aus einer anderen Perspektive brutale Bilder zeigen können. Ich denke aber, daß die Schuhe des Mädchens, die durch die Explosion von ihren Füßen gerissen wurden, mehr sagen als Blut.“

In „Ecce Homo“ wird dreißig Minuten lang kein einziges Wort gesprochen. Jürgen Berger

Wer den Film ausleihen möchte: Informationen über das Festivalbüro Mannheim/Heidelberg, Tel.: 0621/10 29 43