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Oliver Stone packt seine Sachen: „Natural Born Killers“ hetzt durch mindestens 2.000 Motels, mit der Trickkiste der Experimentalfilmer unterm Arm – ohne die Nabelschnur allerdings jemals vollständig zu kappen  ■ Von Mariam Niroumand

Süß-bedrohlich wie zu dichter Konfetti-Regen prasselt „Natural Born Killers“ auf Gläubige und Ungläubige. Schizo ist, wer trotzdem lacht. Man weiß nicht, hat man es mit kompletter Idiotie oder wirklich waghalsigem Kino zu tun. Keine zwei Leute sehen denselben Film; während der eine noch an den schreienden Affen im Stroboskop-Licht herumsinniert, ist der nächste schon bei dem Motelfenster, das auch wieder nur Fernsehbilder ausspeit (wie bei Syberberg: Hitler ist zu sehen, geprügelte Armenier, Leichenberge en passant). Im Kino gewesen: geblinzelt.

David Lynch aus dem Feld schlagen

Mit einem Thanksgiving-Korb voll visueller Ideen (und diesmal wie in „JFK“ auch den Cuttern, sie umzusetzen) hat Stone sich vorgenommen, sowohl David Lynch als auch Kokshead Quentin Tarrantino – auf dessen Story das Ganze basiert – aus dem Feld zu schlagen. Um die Geschichte von Mallory und Mickey Knox so bombastisch zu erzählen („erzählen“ ist eindeutig das falsche Wort), wie es ihm not dünkt, hat er die cineastische Avantgarde der sechziger Jahre (Stan Brakhage zum Beispiel) ebenso beliehen wie Sam Peckinpah, Sam Fuller oder Walt Disney: Als Mickey and Mallory sich auf einer Brücke in Tennessee das Jawort geben, indem sie sich die Hände ritzen, fallen Blutstropfen ins Wasser, die bald zu riesengroßen Disney-Herzen werden.

Natürlich ist Stone auch auf den Serial-Killer-Zug aufgesprungen. Mickey (Woody Harrelson) und Mallory (Juliette Lewis) sind seine Variante von Bonnie and Clyde, seine amour fou, allerdings white trash, weißes, verkommenes Amerika. Einer der größten Coups in „Natural Born Killers“ ist die Einführung von Mallory und ihrer Familie in einer Sitcom, komplett mit laugh track, dem röhrenden Studiogelächter eines Publikums, das in „I Love Mallory“ schenkelklatschend zur Kenntnis nimmt, daß der kleine Bruder von Mallory wohl eher ihr mit dem Vater gezeugter Sohn ist.

Es tut schon nicht mehr weh

Mutter weiß von nichts und frißt und frißt; konsequenterweise müssen die Eltern sterben, damit Mickey & Mallory leben können. Der Vater findet sein Ende glubschäugig im Aquarium, die Mutter muß in ihrem Bette brennen, aber es tut schon nicht mehr weh, denn gleich vor der Haustür warten mindestens 2.000 Motels, in denen Milchshakes und geile Küsse zuhauf angeboten und immer wieder gern genommen werden. Harrelson und Lewis spielen sich wund: während Mickey von innen wahnsinnsleuchtet wie ein Halloween- Kürbis, vagabundiert Lewis zwischen Mädchenpensionat, Brunhilde in Wasserstoff-Perücke und Femme brutale.

Das Echte lieben, das Echte tun

Zu einem wahren Hedonismus reicht es allerdings nicht; schließlich sind wir hier bei Oliver Stone, der uns stets etwas Wichtiges zu sagen hat. Trotz aller feuerspeienden Explosivität bleibt der Film angedockt. Jeder noch so beliebige Mord, auch der an einer Kellnerin im Coffee-Shop, die Mallory mit einem Abzählvers auswählt, will bedeuten. Längst sind die Serial Killer an den Platz gerückt, den früher die edlen Wilden innehatten. „Natural born“ wie einst Chingachkook oder Indianer Joe sind sie alle, von „Henry“ bis zu dem Lederhaut-Mann aus dem „Schweigen der Lämmer“, den sie bezeichnenderweise „Buffalo Bill“ nannten, Amerikas Unkorrumpierte, die das Echte lieben und das Echte begehen.

Der einzige Mord, der dem Paar irgendwie ungut im Magen liegt, ist der an einem Indianer, der sie bei sich aufgenommen hatte und der, für Mickeys Geschmack, etwas zu viele Schlangen herumzuliegen hatte. Als sie in seiner Höhle in der Wüste stehen, sieht er über ihren Bäuchen Leuchtschriften prangen: „The Demon“ oder „is she crazy?“ – wie gesagt, schizo ist, wer trotzdem lacht.

Aus dem Off Leonard Cohen in seiner nunmehr kühlsten, kitschfreiesten Phase. „You wouldn't like it here“, dröhnt er, wie auf einer Postkarte vom Rand der Hölle, direkt von der Desolation Row, und auch Bob Dylan ist dabei oder Patti Smiths „Rock 'n' Roll Nigger“. Mit diesem Gesang im Hintergrund erscheint das Killen wieder als Kunstersatz, so hip wie Burroughs Mord an seiner Frau, ein graziler Akt inmitten all der verfetteten Roheit.

Der Mord als Action Painting

Wo von Übersättigung die Rede ist, kann die Fernsehschelte nicht weit sein. Als etwa dreißig Leichen ihren Weg pflastern, setzt eine Nachrichtenstation ihren wahnsinnigsten Mann auf das Duo an. Für seine Sendung „American Maniacs“ folgt Wayne Gale (Robert Downey jr.) dem Paar auf dem Fuß, bis hinein ins Staatsgefängnis, wo sein Exklusivinterview mit Mickey eine Revolte auslöst, gegen die die Aufstände in Alcatraz wie ein FDP-Parteitag wirken. Binnen kurzem verhilft er ihnen zu internationalem Ruhm; im MTV- Style hört man Kids in Tokio, Paris („Mickey, hmm, un vrai homme“), New York von dem Paar schwärmen. Daß Hollywood gern mit dem Finger auf das Fernsehen zeigt, unter dem es fast einmal begraben worden wäre, ist nun keineswegs neu. Neu ist, daß ein Studio wie Warner Brothers so frei ist, dies mit den Mitteln der Schmuddelkinder zu tun, mit wechselndem Filmmaterial, Animation, Hong- Kong-Trash-Monstern, Weißblenden, Cartoons, Jump Cuts – was du willst. Daran ändern auch die 150 Schnitte nichts, die Stone vornehmen mußte, um ein R-Rating zu verhindern.

Seit Dennis Hoppers „The Last Movie“ hat es einen solch frappanten Studio-Eskapismus nicht mehr gegeben – ein weiteres Indiz dafür, daß Stone noch immer an seinem Sixties-Projekt werkelt.

Pförtner im Haus der Liebe

Aber während sein Jim Morrison oder sein Garrison noch Spione im Haus der Liebe waren, sind Mickey und Mallory dessen Pförtner; „True Romance“ ist gar kein Ausdruck für das Schlußbild, bei dem man eine vierköpfige Familie den Highway hinabbrausen sieht. Mickey kann sogar, in einer Art „JFK“-Verarschung, Charlie Manson zitieren oder über JFK-Mörder Oswald sagen: „Oswald was a pussy, but he was a great shot.“

Daß Stone die neuesten Zelebritäten-Kalamitäten um O.J. Simpson etc. aufruft, um sein Projekt zu verteidigen, ist natürlich reine Heuchelei; und es sind genau diese Prätentionen, die einen Megaballon wie „Natural Born Killers“ wie Sandsäcke am Boden halten.

„Natural Born Killers“, Regie: Oliver Stone. Buch: Oliver Stone, David Veloz, Richard Rutowski. Mit: Juliette Lewis, Woody Harrelson, Robert Downey jr., Tommy Lee Jones. USA 1994, 120 Min.