: Ein Strick mit vielen Enden
Die Berliner Lesbenwoche steht für Vielfalt und Kleinkrieg. Und das seit zehn Jahren. Viele Lesben kommen einmal und nie wieder. ■ Von Sonja Schock
Das Eröffnungsplenum dauert noch keine zehn Minuten, da knallt es schon. Eine Immigrantin im Publikum steht auf, beschimpft Antje aus der Organisationsgruppe. Sie habe keine Lust mehr, sich so ein Gequatsche von einer weißen Frau anzuhören. Es folgt ein Redeschwall. Der Schwarz-weiß-Antagonismus erweist sich erst einmal als wirksames Totschlagargument. Dann aber springt Antjes afrodeutsche Mitstreiterin Katharina auf und bietet der Angreiferin die Stirn. Ihre ruhige Sachlichkeit färbt jedoch nicht auf diese ab – im Gegenteil! Andere Frauen mischen sich ein, die überwiegende Mehrheit des Publikums verfolgt fassungs- und ahnungslos die haßerfüllten Attacken gegen das Organisationsteam. Die Gebärdendolmetscherin in der Mitte des Raumes, die für eine Gruppe gehörloser Frauen übersetzt hat, läßt resigniert die Hände sinken. Die Situation eskaliert, wilde Flüche werden geschrien, Fäuste geschwungen, die ersten Tränen fließen. Polternd verläßt die Gruppe der Kritikerinnen den Saal. Die zehnte Berliner Lesbenwoche ist eröffnet. Ein Einzelfall? Keineswegs. Derartige Eklats gehören zur Tradition der Lesbenwoche. Kaum ein Plenum, auf dem nicht die Fetzen geflogen wären. Bereits auf der ersten Lesbenwoche 1985 endete das Abschlußplenum im Streit, weil sich die Frauen des jüdisch-lesbischen Schabbeskreises an den unreflektierten Formulierungen einiger Lesbenland-Vertreterinnen stießen. Diese hatten, in der festen Überzeugung, daß Lesben die besseren Menschen sind, ihre Utopie von eigenen männerfreien Landkommunen vorgestellt und dabei mit Begriffen wie „lesbisches Volk“ und „Inbesitznahme von Land“ operiert.
Bei den darauffolgenden Lesbenwochen blockierten mal behinderte und schwarze Lesben den Weg in den Veranstaltungsraum, um ihren Protest gegen Ausgrenzungstendenzen zum Ausdruck zu bringen, mal wurden Journalistinnen des Alternativsenders Radio 100 beschimpft, weil sie auch Themen wie Pädophilie und Sadomasochismus ins Programm geholt hatten, mal endete die Veranstaltung damit, daß sich Vertreterinnen von Wildwasser und der Pädophilengruppe „Kanalratten“ gegenseitig Beleidigungen an den Kopf warfen. Eine Autorin parodierte diesen Eklat treffend in der Dokumentationsschrift: „Ich hätt's echt ein Stück weit total wichtig gefunden oder so, wenn Radio 100 das hätte mitschneiden dürfen, aber das Plenum hatte sich anfangs gegen einen Mitschnitt entschieden, damit wir der Öffentlichkeit erspart bleiben.“ Zu einem inhaltlich-sachlichen Gedankenaustausch kam es auf den Plena höchst selten.
Ein rein deutsches Phänomen scheint das nicht zu sein: „Ich bin seit 17 Jahren in der Frauenbewegung“, sagte eine Besucherin auf der diesjährigen Eröffnungsveranstaltung am Sonntag, „und ich habe noch kein Plenum erlebt, wo nicht mindestens eine Frau in Tränen ausgebrochen ist.“ Diese Ausdauer hat längst nicht jede Frau. Viele kommen einmal und nie wieder.
Dementsprechend durchläuft auch die Berliner Lesbenwoche einen permanenten Verjüngungsprozeß. Kaum eine der Teilnehmerinnen ist älter als Mitte 20. Nicht alle sind primär an der inhaltlichen Seite der Veranstaltungswoche interessiert. Viele machen sich hier auf die Suche nach der großen Liebe, holen sich Mut für das Coming-out oder genießen es, anders als in ihrer Heimatregion, mal mehr als fünf Lesben auf einem Haufen zu sehen. Diese Aspekte sind zeitweilig dann auch in den Vordergrund gerückt. Nachdem noch die dritte Lesbenwoche 1987 unter dem Motto „Wir müssen politischer werden!“ stand, glitten die späteren immer mehr ins Beliebige ab. Die Auswahlkriterien folgten dem gleichen Prinzip wie einst die Freie Kunstausstellung in Berlin: Alle durften mitmachen.
Heraus kamen ein buntes Potpourri von oft zweifelhafter Qualität und eine ganze Reihe an Kuriositäten. Da fordert einmal eine Gruppe Solidarität mit den „arabischen Völkern“ – mit der Begründung, daß diese jahrelange Freiheitskämpfe hinter sich hätten und deshalb eine enge Verbindung zu ihnen bestehe. Ein Jahr später wird ein „Menstruationsraum“ mit Altar eingerichtet. Für viele Grund genug, schreiend davonzulaufen.
Vor allem wissenschaftlich und parteipolitisch aktive Frauen kehrten der Lesbenwoche den Rücken. Eine fatale Entwicklung, die die Verbindung zwischen think tanks, Politik und Basis zerschnitt und gegenseitige Inspiration unmöglich machte. Diese Trennung ist besonders schmerzlich angesichts der Tatsache, daß sich Lesbenforschung, anders als in den USA, in Deutschland an den Universitäten nicht etablieren konnte. Zwar wird zum Beispiel der Forschungskomplex rund um die Geschlechtsidentität auch von deutschen Wissenschaftlerinnen aufgegriffen – von denen viele mehr oder wenig offen lesbisch sind –, der universitäre Kontext heißt hier jedoch nicht queer studies, sondern Frauenforschung. Daß diese einige Mühe hat, die neuen Ansätze zu integrieren, liegt nicht zuletzt daran, daß die meisten heterosexuellen Frauenforscherinnen dringlichere Sorgen haben als die Infragestellung der eigenen Heterosexualität oder Geschlechtszugehörigkeit.
Um die Theorien in die von Judith Butler und anderen geforderte subversive Praxis der Persiflage und Maskierung umzusetzen, fehlt hierzulande die lesbische Basis. Eine Ausnahme ist die Kaiserin von Tuntland, nach eigenen Angaben „eine Tunte, geboren im Körper einer lesbischen Frau“. Simulation der Simulation der Simulation: Die Lesbe imitiert den Mann, der die Frau imitiert, die das kulturelle Bild der Frau imitiert. Ihr Auftritt im Eröffnungsplenum löste nervöses Kichern aus. Ein Kegelclub aus Castrop-Rauxel hätte kaum irritierter auf die Diva reagieren können. Auch hier ist offenbar erst einmal Aufklärungsarbeit in den eigenen Reihen vonnöten.
Auf den Binnenaustausch als ersten notwendigen Schritt setzt auch Katharina. Erschöpft läßt sie sich nach der Redeschlacht auf eine Bank fallen. Ob sie nicht langsam genug von den rüden Umgangsformen hat? Die 35jährige Historikerin lacht. „Nein“, sagt sie entschieden, „die Frauen müssen halt lernen, miteinander umzugehen, und irgend jemand muß ja den Rahmen dafür schaffen.“ Katharina kann auf einige Bewegungserfahrung zurückblicken. Bereits während der zweiten Lesbenwoche hat sie langwierige Rassismusdebatten geführt. Jetzt hat sie gemeinsam mit anderen weißen und schwarzen Frauen die Lesbenwoche ein zweites Mal unter der Überschrift Rassismus organisiert. „Die Reaktionen auf die letzte Lesbenwoche haben uns ermutigt“, erklärt sie, „zu mir sind einige schwarze Frauen gekommen und haben gesagt, daß sie sich zum ersten Mal hier wohl gefühlt haben.“ Sie will gerade denen Mut machen, sich zu starken Persönlichkeiten zu entwickeln, die von der Gesellschaft am meisten in Frage gestellt und in ihrer Entwicklung behindert werden. Ihr Vorbild war die afroamerikanische Autorin Audre Lorde, die unter anderem in Berlin afrodeutsche Frauen ermutigt hatte, sich zusammenzuschließen und gegen die alltägliche Diskriminierung anzukämpfen. Ein Ergebnis dieses Engagements ist die Anthologie „Farbe bekennen“, die im Orlanda-Verlag erschienen ist. „Audre hat mir geholfen, stark zu werden“, erklärt Katharina, „jetzt bin ich in dem Alter, um anderen vorzuleben, daß schwarze Frauen starke Persönlichkeiten sein können, die Verantwortung übernehmen, statt sich als Opfer zu betrachten.“
Katharina träumt davon, daß sich aus der Selbstverständigung nach innen eine politische Kraft entwickelt, die Allianzen mit anderen progressiven Bewegungen eingeht und gesellschaftsverändernd tätig wird. Als Potential bringt die deutsche Lesbenbewegung immerhin eine langjährige Erfahrung an offen geführten Auseinandersetzungen und Verständigungsversuchen zwischen sehr unterschiedlichen Frauen mit. Eine Chance könnte sein, das „Wir“ nicht als statische Größe, sondern als immer nur temporäres, an gemeinsamen Interessen und Zielen orientiertes Konstrukt zu begreifen.
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