Vorsichtiger Optimismus in Mostar

Die Verwaltung der bosnischen Stadt durch die Europäische Union zeigt erste Fortschritte / Die Vertreibungen von Muslimen durch Kroaten aus dem Westteil der Stadt gehen jedoch weiter  ■ Aus Mostar Erich Rathfelder

Das Klopfen an der Tür reißt Aida F. aus dem Schlaf. Sie zieht sich rasch an und geht in den Flur ihrer Wohnung. „Polizei, aufmachen!“ ertönt es von draußen. Noch benommen öffnet sie die Tür, drei Polizisten in Uniform stürmen herein, durchsuchen die Zimmer ihrer Wohnung. Sie ziehen die Decke vom Bett, in dem ihr behinderter Sohn schläft, und bedeuten den beiden harsch, die Wohnung sofort zu verlassen.

Nur die nötigsten Habseligkeiten, ihre Zeugnisse und Ausweise, etwas Geld und eine warme Jacke für den Sohn kann Aida F. in ihre Reisetasche stopfen. Unterdessen packen die Polizisten den Jungen und setzen ihn in den Rollstuhl. Den Schock über das, was passiert war, spürt Aida F. erst, als sie auf der Straße steht. Die fragenden Augen des Jungen lösen bei ihr einen Weinkrampf aus.

Aida F., eine muslimische Frau, ist aus ihrer Wohnung in West-Mostar geworfen worden, jenem Teil der bosnischen Stadt also, den die westherzegowinischen Kroaten zur „Hauptstadt“ ihres nicht anerkannten „Staates“ Herceg-Bosna machen wollen. Aida F. steht an jenem Morgen ratlos auf der Straße und überlegt angestrengt, wohin sie nun gehen soll. Seit ihr kroatischer Mann im Krieg ums Leben gekommen ist, haben sich ihre kroatischen Freunde von ihr abgewandt. Und die meisten muslimischen Verwandten und Freunde sind schon vor Jahresfrist in den muslimischen Ostteil der Stadt getrieben worden. Schließlich faßt sie den Entschluß, zum Kontrollpunkt im Zentrum der Stadt zu gehen und ebenfalls in den Osten überzusiedeln.

So oder so ähnlich geht die Austreibung der noch etwa 2.000 verbliebenen Muslime im Westteil von Mostar dieser Tage vor sich, und dies trotz der Verwaltung der Stadt durch die Europäische Union. Die Aktion der Polizei im Fall Aida F. war dabei nicht einmal illegal. Denn die Wohnung Aidas war schon vor Monaten, noch bevor EU-Administrator Hans Koschnick kam, von der Stadtverwaltung einer anderen Familie zugesprochen worden. Da es sich bei den meisten Wohnblocks in Mostar um staatlichen Besitz handelt, nimmt die Verwaltung im kroatisch beherrschten West-Mostar eine Schlüsselposition ein. Und es ist keine Frage, daß um die „kroatische Sache verdiente Kämpfer“ des kroatischen Verteidigungsrates (HVO) bei den Bürokraten auf offene Ohren für ihre Wohnungswünsche stoßen. Seit die EU-Administration in der Stadt vor rund zwei Monaten die Arbeit aufgenommen hat, sind zwar einige psychologische Hürden aufgebaut worden. Manche Wohnberechtigungsscheine stammen deshalb nicht mehr von der Verwaltung, sondern sind gefälscht. Die Vertriebenen können sich kaum wehren, da die Polizei in der Regel kein Interesse an der Wahrheitsfindung hat. Wie sollen sie auch zu ihrem Recht kommen, wenn die Polizei nicht einmal dann eingreift, wenn bewaffnete Zivilisten mit blanker Gewalt Wohnungen „räumen“? Die Polizei ist durch den Krieg geformt. Auch auf der anderen Seite der Demarkationslinie.

„Wir haben noch eine lange Strecke vor uns, bis eine rechtsstaatlich funktionierende Polizei entstanden ist.“ Ulrich F. Bury ist stellvertretender Chef der Polizeiberater der Westeuropäischen Union (WEU), deren Mitglieder im Auftrag der EU die Polizeitruppen in West- und Ost-Mostar beraten sollen. 55 Deutsche, 20 Franzosen, je 10 Spanier und Briten sowie 15 Niederländer sind schon da, irgendwann einmal sollen zusammengenommen 182 WEU-Polizisten vor Ort sein, um binnen zwei Jahren eine verläßliche Polizeitruppe von 600 Mann aufzubauen, in der je zur Hälfte Kroaten und Bosniaken vertreten sind.

Daß der Aufbau einer einheitlichen Polizei der Schlüssel zum Gelingen der Mission der europäischen Administration in Mostar wird, ist dem deutschen Polizisten Bury eher eine Last. „Die politischen Probleme sind nicht über die Polizei zu lösen“, sagt der energische und engagierte Mann, dem anzumerken ist, daß ihm der bisherige Status der WEU-Polizisten nicht behagt. „Wir können zwar Flagge zeigen, indem wir gemeinsame Streifen mit Polizisten des Ostens wie des Westens fahren, direkt in die polizeilichen Aufgaben eingreifen können wir jedoch nicht.“ Nicht einmal in einem Fall wie dem der Aida F. könnten die Westeuropäer bisher etwas tun.

Direkt an der Demarkationslinie, zwischen den zerschossenen Häusern, dort, wo der Krieg zwischen der kroatisch-bosnischen HVO und der bosnischen Armee vom Mai 1993 bis zum Februar 1994 unerbittlich geführt wurde, liegt das Hotel mit dem Namen „Ero“, das Hauptquartier der EU- Verwaltung. Das Sprachengewirr deutet darauf hin, daß mit dem Anspruch, die multikulturelle Identität der Stadt Mostar neu zu begründen, ernst gemacht wird. Die Administration der EU ist selbst ein Experiment, hier arbeiten erstmals die Abgesandten der zwölf Mitgliedsländer – aber auch Österreicher und Schweizer sind vertreten – auf dem Terrain eines fremden Staates beim Aufbau einer Verwaltung zusammen. Noch sind nicht alle vorgesehenen Planstellen besetzt, doch ist es immerhin gelungen, die Administration zum Laufen zu bringen.

Sieben Ressorts wurden gebildet: Verwaltung, Finanzen, Wiederaufbau, Wirtschaft und Infrastruktur, Schulwesen, öffentliche Ordnung sowie Sozial- und Gesundheitswesen. Deren Vertreter haben begonnen, die Verwaltungen im kroatischen Westteil und dem muslimischen Ostteil auf gemeinsame Projekte zu verpflichten und die Aktivitäten der vielen Hilfsorganisationen, die schon seit geraumer Zeit in beiden Hälften der Stadt aktiv sind, zu koordinieren. Hinzu kommen noch militärische und diplomatische Berater.

Für manche geht dieser Prozeß zu langsam vor sich. „Der Winter steht vor der Tür“, beklagt sich Czevad R., ein arbeitsloser Schlosser im Ostteil der Stadt, „weder sind wie versprochen die Dächer der Häuser repariert worden, noch haben wir durchgehend Strom. Auch die Wasserversorgung läßt zu wünschen übrig.“ Die Teilung der Stadt sei nicht aufgeweicht, nach wie vor dürften lediglich 200 Frauen und Männer über 65 täglich in den Westteil der Stadt und umgekehrt hinüberwechseln. „Wann können die Vertriebenen endlich in ihre Wohnungen zurückkehren, wie es von der EU- Administration versprochen war“, fragt Czevad R. An einen Beginn des Wirtschaftslebens sei nicht einmal im Traum zu denken: „Wir brauchen den freien Zugang zur anderen Seite.“

In der Tat genügt ein Blick, um die Unterschiede in beiden Stadthälften festzustellen. Erstrahlen im Westteil sogar die Neonreklamen im vollsten Glanz, liegt der Osten dunkel da. Leben im Osten die meisten Menschen noch in den Kellern der zerstörten Häuser, ist im Westen die Wohnsubstanz kaum angegriffen, die meisten Wohnblocks sind im Krieg zwischen Muslimen und Kroaten intakt geblieben. Lediglich einige Artillerieeinschläge zeugen noch von dem vorherigen Krieg gegen die serbisch-bosnische Armee, die bis Juni 1992 Mostar besetzt gehalten hatte und deren Geschosse auch noch später in der Stadt einschlugen. Während sich das Wirtschaftsleben im Westen langsam zu erholen scheint, drängen sich die Menschen im Osten nach wie vor an den Ausgabestellen der humanitären Hilfe. Und herrscht im Osten nach erneuten serbischen Artillerieangriffen vor zwei Wochen auf die südlich und nördlich der Stadt gelegenen Territorien Alarmzustand und damit Angst, wird dies im Westen nicht einmal als Bedrohung erkannt.

„Die EU-Administration hängt ein bißchen in der Luft“, gibt auch der Diplomat Klaus von Helldorff zu, der für die Finanzen der Administration zuständig ist. „Die Rahmenbedingungen sind aber so gelagert, daß wir hier nach beiden Seiten hin nur Überzeugungsarbeit leisten können.“ Die Administration müsse eng mit den jeweiligen Verwaltungen zusammenarbeiten.

„Der politische Wille muß auf beiden Seiten vorhanden sein, um der Administration zum Durchbruch zu verhelfen“, erklärt auch der juristische Berater, der Schweizer Abgesandte Birchler.

Die Frage, ob unter diesen Bedingungen die Problematik der Kriminalität, der Mafia und der Kriegsverbrecher angepackt werden kann, wird bei den Mitarbeitern der Administration mit Achselzucken beantwortet. Zwar wird hinter vorgehaltener Hand darüber gelästert, daß man sich täglich mit den Verantwortlichen für den Krieg, mit Kriegsverbrechern also, zusammensetzen müsse, um die nächstliegenden Aufgaben zu lösen. Und jedem Mitarbeiter ist klar, daß die Aufgabe der EU-Administration, Mostar zu vereinigen und die multikulturelle Identität wiederherzustellen, nicht erreicht werden kann, solange die kroatisch-herzegowinische Seite ihren Anspruch nicht aufgegeben hat, den Westteil Mostars zur „Hauptstadt“ von Herceg-Bosna zu machen. Hier ist die Frage nach der Macht der Administration gestellt, und deren Beantwortung hängt damit zusammen, ob es gelingt, die Polizeitruppen der Stadt auf den Kurs des EU-Administrators zu verpflichten.

„Da bin ich Optimist.“ Auf das ernste und immer konzentrierte Gesicht von Hans Koschnick stiehlt sich ein Lächeln. Er sagt zwar nicht ausdrücklich, daß nach dem Anschlag auf seine Person Anfang September die Dinge begonnen haben, sich zugunsten der Administration zu verändern, weil nun Konsequenzen gezogen werden, aber: „Bei dem Treffen zwischen den kroatischen und bosnischen Präsidenten Tudjman und Izetbegović vor zwei Wochen in Zagreb wurde die bosnisch-kroatische Föderation vorangebracht.“ Ein erster sichtbarer Erfolg sei die Zusammenarbeit von kroatischen und muslimischen Zöllnern an der bosnisch-kroatischen Grenze bei Metković. „Nur wenn die Föderation vorankommt, gewinnen auch wir Spielräume, denn die Gesetze der Föderation sind auch für uns bindend. Dann können wir wiederum Beipiel für die Föderation sein“, meint Koschnick.

„Herceg-Bosna besteht zwar noch“, erklärt Drago Marić, einer der bisherigen Vizeminister des kroatisch-bosnischen „Staates“ Herceg-Bosna. Gemeinsam die Zölle zu erheben, bedeute jedoch einen großen Fortschritt für die Föderation. Bisher seien die Zölle für die Waren, die nach Bosnien transportiert wurden, in vollem Umfang Herceg-Bosna zugeflossen. Mit einem Lächeln deutet Marić auf einen Aktenordner voller Gesetze und Ausführungsbestimmungen, die in den letzten Wochen vom Parlament in Sarajevo für die Föderation verabschiedet wurden. „Ich bin hinsichtlich des Aufbaus der Föderation optimistisch“, sagt er, „und daß es damit auch in Mostar weitergeht.“ In Herceg-Bosna, so könnte man resümieren, scheint es zumindest seit kurzem neben den nationalistischen Hardlinern auch moderate zu geben. Für Aida F. jedoch ändert dieser Umstand nichts.