Sie wurde gerufen – und nahm an

■ Sri Lanka: Witwe wird Nachfolgerin des ermordeten Präsidentschaftskandidaten

Berlin/Colombo (taz) – Sie trägt seinen Namen und wird seine Politik fortführen: Srima Dissanayake ist von der srilankischen Oppositionspartei UNP zur Nachfolgerin ihres am Sonntag ermordeten Ehemannes Gamini Dissanayake bestimmt worden. Die Führung der United National Party beschloß am Dienstag, daß die Juristin bei den Präsidentschaftswahlen am 9. November für die UNP antreten wird.

Die innerparteilichen Gegner des Verstorbenen wehrten sich heftig gegen die Nominierung. Sie ließen sich aber überstimmen, da ihr eigener Favorit gegen die auf Regierungsseite antretende Premierministerin Chandrika Kumaratunga weniger Chancen hätte. Zweifellos rechnet man nach dem blutigen Anschlag auf die Oppositionsspitze auf einen stimmenbringenden Empörungseffekt.

Srima Dissanayake, 51jährige Rechtsanwältin mit Anwaltskanzlei in Colombo, ist erstmals im vergangenen Jahr als Politikerin aufgetreten. 1993 wurde sie in ein Provinzparlament gewählt. Ein Neuling in der Politik war sie aber keineswegs: Seit über fünfundzwanzig Jahren hat sie die politische Karriere ihres Mannes begleitet. Sie stand in der Nähe, als er seine Wahlkampfreden hielt, war zugegen, wenn er in den Führungsgremien seiner Partei agierte, saß dabei, wenn er politische Interviews gab, fuhr mit, wenn er zu politischen Veranstaltungen reiste.

Daß seine Partei sie zur Nachfolgerin ihres Mannes ernennt, ist nicht erstaunlich, sondern für Sri Lanka – und zahlreiche andere Länder in Asien – üblich. Töchter und Witwen ermordeter Staats- und Regierungschefs oder Nationalhelden sind zu Statthalterinnen politischer Familien, Parteien und Ideen geworden. Sie wurden gerufen – und akzeptierten. Nur eine hat sich in den letzten Jahren geweigert: Sonia, die aus Italien stammende Ehefrau des 1991 ermordeten Rajiv Gandhi. Sie konsternierte die Führer der Kongreßpartei völlig, als sie die Übernahme seines Amtes rundheraus ablehnte. Die Partei war sich ihrer so sicher gewesen, daß sie die Witwe gar nicht erst fragte, bevor sie deren Ernennung ankündigte.

Die birmesische Oppositionspolitikerin Aung San Suu Kyi, Pakistans Regierungschefin Benazir Bhutto, Bangladeschs Premierministerin Khaleda Zia und Oppositionsführerin Sheikh Hasina – um nur einige zu nennen – sind in den führenden politischen Familien ihres Landes aufgewachsen oder haben hineingeheiratet. Sie sind oft hochgebildet und haben reiche politische Erfahrung. Auch Chandrika Kumaratunga, die Konkurrentin der neuen srilankischen Präsidentschaftskandidatin, wird in ihrem Land als eigenständiger politischer Kopf anerkannt. Niemand glaubt jedoch, daß sie es jemals an die politische Spitze ihres Landes geschafft hätte, wäre sie nicht Tochter eines ermordeten Premierministers. Jutta Lietsch