piwik no script img

Die Rückkehr der alten Themen

In den USA hat die Republikanische Partei bei den bevorstehenden Wahlen gute Chancen, die Mehrheit Clintons zu brechen / Law-and-order-Parolen bestimmen den Wahlkampf  ■ Aus Washington Andrea Böhm

1994 war nicht das Jahr des Bill Clinton. Aber es könnte das Jahr des George Bush werden. Der Ex-Präsident, durch die Wahlniederlage 1992 gedemütigt und von seiner eigenen Partei als unfähiger Hüter des Reaganschen Erbes kritisiert, hat am 8. November Aussicht auf späte Genugtuung: Seinen beiden Söhne, George W. und Jeb, werden gute Chancen eingeräumt, die Gouverneurswahlen in den US-Bundesstaaten Texas und Florida zu gewinnen. Mit erzkonservativen Wahlkampfprogrammen, in denen Law and order, Maßnahmen gegen illegale Immigration sowie die Abschaffung von Sozialprogrammen im Vordergrund stehen, liefern sich die beiden Bush-Söhne knapp zwei Wochen vor den Wahlen gegen zwei populäre Amtsinhaber der Demokratischen Partei ein Kopf-an- Kopf-Rennen: In Texas muß Gouverneurin Ann Richards um ihre Wiederwahl fürchten, in Florida Gouverneur Lawton Chiles. Texas und Florida an republikanische Gouverneure zu „verlieren“, wäre ein schwerer Schlag für Bill Clinton: Solch große Bundesstaaten sind von zentraler Bedeutung für die Präsidentschaftswahlen. Demokratische Gouverneure wären dem Präsidenten nicht nur bei der Suche nach Wahlkampfspenden von großer Hilfe – sie mobilisieren auch das lokale Wahlvolk.

Dies könnten die beiden Bush- Sprößlinge verhindern. Der 48jährige George Jr., Teilhaber des Baseball-Teams Texas Rangers, und der 41jährige Jeb, ein Geschäftsmann in Miami mit exzellenten Beziehungen zur konservativen Fraktion der Exilkubaner, sind die gelungenste Verkörperung eines politischen Trends, der die Strategen der Republikaner schon seit Wochen in kaum verhohlener Siegerpose auftreten läßt. Erstmals seit Jahrzehnten rechnet die Grand Old Party (GOP) nicht nur mit Siegen bei mehreren Gouverneurswahlen, sondern hofft sogar, die Mehrheit der Demokraten im US-Repräsentantenhaus und im Senat zu brechen. 40 zusätzliche Sitze im Repräsentantenhaus und sieben weitere Sitze im Senat bräuchte die GOP dafür.In diesem Fall hätte der neue Star der Republikaner, der stellvertretende Fraktionsführer im Repräsentantenhaus, Newt Gingrich, Anspruch auf das Amt des Vorsitzenden der Kammer. Jesse Helms, Rechtsausleger der Partei, könnte im Senat sein Anrecht auf den Vorsitz im außenpolitischen Ausschuß geltend machen. Um ihr politisches Überleben kämpfen so auch bisher unantastbare Ikonen der Demokraten – wie etwa Senator Ed Kennedy aus Massachussetts.

In Kalifornien hatte bis vor kurzem noch die demokratische Kandidatin Kathleen Brown, Schwester des Ex-Gouverneurs Jerry Brown, beste Aussichten, die Gouverneurswahl zu gewinnen. Doch Amtsinhaber Pete Wilson hat sich mit immigrantenfeindlicher Rhetorik und Forderungen nach mehr Polizei und härteren Strafen für Kriminelle aus scheinbar aussichtsloser Position wieder in Führung gebracht. Wilson, den viele in der Republikanischen Partei politisch bereits abgeschrieben hatten, gilt im Fall seiner Wiederwahl als chancenreicher Anwärter auf die Präsidentschaftskandidatur 1996.

Doch schon geringere Gewinne der GOP würden ausreichen, um Clinton in den verbleibenden zwei Jahren seiner Amtszeit das Regieren unmöglich zu machen. In Koalition mit konservativen Abgeordneten der Demokraten könnten die Republikaner dann jede Initiative aus dem Weißen Haus in den Papierkorb wandern lassen. Was bislang unter dem Begriff „gridlock“ (Verkehrsstau) Schlagzeilen machte und die Obstruktionspolitik im Kongreß meinte, könnte, so die New York Times, unter republikanischer Vorherrschaft zu gridlock with a vengeance werden – einer Obstruktionspolitik verbunden „mit Rache“ an dem amtierenden Präsidenten.

Dessen geringe Popularität, durch außenpolitische Erfolge nur geringfügig aufgebessert, ist zum zentralen Wahlkampfthema der Republikaner geworden. „No more Clintonism, back to Reaganism“ – dieser Slogan wäre vor zwei Jahren völlig undenkbar gewesen. Doch 1994 ist das Image des „Neuen Demokraten“, das Bill Clinton und Al Gore während des Präsidentschaftswahlkampfes so erfolgreich kreiert hatten, bis zur Unkenntlichkeit zerkratzt. Die Clinton-Administration wird – trotz Wirtschaftsaufschwungs und einer Vielzahl von erfolgreichen legislativen Initiativen – mit politischen Fehlschlägen und kleineren Skandalen identifiziert.

„Senator XY hat fast immer für Clinton gestimmt“ – diese Feststellung ist dieser Tage kein Kompliment, sondern effektive Munition republikanischer Herausforderer gegen demokratische Kongreßmitglieder. Manche vermeiden deshalb während der Wahlkampfs jeden visuellen Kontakt mit ihrem Präsidenten. US-Senator Jim Sasser, der sich im Bundesstaat Tennessee in einem Kopf-an-Kopf- Rennen mit seinem republikanischen Gegner befindet, hat auf gemeinsame Auftritte mit Clinton explizit verzichtet. Statt dessen versucht er, mit der Forderung nach der Wiedereinführung des Schulgebets Stimmen zu fangen.

Im Mittelpunkt des Wahlkampfs steht so die Diskussion um Ethnien und Hautfarben. Eine aktuelle Meinungsumfrage des Times-Mirror-Umfrageinstituts kam zu dem Ergebnis, daß erstmals eine Mehrheit der Weißen in den USA der Überzeugung ist, die Politik der Chancengleichheit für Schwarze und andere Minderheiten sei „zu weit“ getrieben worden. Andrew Kohut, Direktor des Times-Mirror-Instituts, hält diesen wachsenden Antagonismus zwischen Schwarzen und Weißen für ein Indiz einer „zunehmend pessimistischen und verzweifelten Stimmung“ unter weißen Wählern, die vor allem in ökonomischen Ängsten begründet sei. Kohut meint vor allem weiße Angehörige der Mittelschicht, deren Beschäftigungs- und Einkommensbedingungen seit über 20 Jahren unter einem stagnierenden respektive sinkenden Reallohneinkommen leiden. „Diese Leute sind die wichtigsten Wechselwähler“, so Kohut. 1992 hätten sie noch für Clinton gestimmt. 1994 würden viele zu den Republikanern oder zu unabhängigen Kandidaten überwechseln.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen