Überall Öllachen, Schrott, Abfall

■ Interview mit Ludmila Mikhajlova, Universität Murmansk

taz: Welche Auswirkungen befürchten Sie als Biologin, wenn die Nachrichten über den Umfang des Ölaustritts stimmen?

Ludmila Mikhajlova: Bedroht ist vor allem das einzigartige Vogelleben im Petschora-Delta. Millionen von Vögeln nisten dort im Frühjahr. Glücklicherweise dürften jetzt die meisten Vögel schon auf dem Weg in den Süden sein, bis auf die Singschwäne, so daß keine akute Gefährdung vorliegt. Doch sollte bis zum Frühjahr das betroffene Gebiet nicht saniert sein, wäre dies für die Vogelwelt eine Katastrophe.

Was ist die Petschora für ein Fluß?

Es liegen dort noch riesige unberührte Waldgebiete. Der Fluß ist sehr fischreich und bislang relativ wenig verschmutzt. Jedenfalls bei weitem nicht in dem Umfang wie die weiter östlich ins Eismeer mündenden Flüsse Ob und Jenissej. Das sind reinste Industriekloaken. Am Ob reihen sich Schmelzwerke, chemische Kombinate, Atomkraftwerke und Ölfelder wie Perlen an einer Schnur. Allein über den Ob kommen jährlich 120.000 bis 140.000 Tonnen petrochemische Produkte ins Nördliche Eismeer. Dazu Zehntausende Tonnen hochgiftiger und erbgutschädigender Stoffe. Je weiter nach Norden zur Mündung hin, desto mehr konzentriert sich die Giftladung. Die durchschnittliche Lebenserwartung der Menschen, die im Mündungsgebiet von Ob und Jenissej am Eismeer leben, ist seit 1961 um 16 Jahre gesunken und liegt jetzt 25 Jahre unter dem gesamtrussischen Durchschnitt.

Wie sieht die Ölförderung dort jetzt aus?

Ich kenne selbst die Ölfelder auf der Jamal-Halbinsel, an der Mündung des Ob, also östlich der Petschora. Dort liegen einige der weltweit größten Ölvorkommen. Früher gab es dort ein reiches Tierleben. Heute ist die Tundra verseucht. Überall Öllachen, Metallschrott, Abfall. Alles wird weggeworfen, alles bleibt liegen. Es herrscht die Meinung: Die Natur verträgt alles, sie ist unendlich belastbar. Dabei wurden bei Meerestieren im Nördlichen Eismeer schon die höchsten Konzentrationen an Umweltgiften gemessen. Dort kommt der Dreck aus beiden Richtungen: über den Golfstrom vom Westen und aus den sibirischen Flüssen aus dem Osten. Interview: Reinhard Wolff