Durchs Dröhnland
: Mit Geigen gar

■ Die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche

Selten finden italienische Bands den Weg über die Alpen, aber spätestens seit Pankow wissen wir, daß es im liebsten Urlaubsland der Deutschen mehr gibt als Eisdielenfeger und von Moroder beeinflußte Disco. R.S.U. sind ein Trio und kommen aus Trient. Die Abkürzung steht für Rifiuti Solidi Urbani, was ungefähr soviel wie „haltbarer städtischer Müll“ bedeutet. Und so hören sie sich dann auch an, quälen ihre Instrumente und Stimmen auf einer böse grummelnden Basis, die aber durchaus swingt. Bei ihnen blitzt und funkt es zwar nicht so ausführlich quer wie bei den Young Gods, die Herangehensweise ist der der Schweizer aber nicht unähnlich. Wie die benutzen R.S.U. elektronische Sounds, um Errungenschaften des Hardcore mit denen des Dancefloor zu verknüpfen.

Heute, 22 Uhr, Schoko-Laden Mitte, Ackerstraße 169/170.

Ganz bestimmt hatte ich Die Art ganz anders in Erinnerung: So komisch mittendrin punkrockend, so suchend, mit Geigen gar. Das westliche Vorurteil verfügte sogleich über die 1986 in Leipzig gegründete Band, sie müsse sich in der neuen Situation wohl erst finden. Das tut sie wohl immer noch, wobei das neue Erzeugnis „But“ sich schon wieder woanders mittenmang gibt, zwischen Schweinerock und smithschem Geplänkel. Immerhin haben es unsere vier Freunde trotzdem mit viel Beharrlichkeit geschafft, sich sowas wie einen eigenen Stil zu erspielen, der vor allem auf die nölende Grundstimmung des Organs von Holger Oley baut. Die Musik von Die Art erinnert schon lange nicht mehr an die gern beschworene Ost-Identität — da toben sich welche aus, die früher schon John Peel gehört haben. Auch textlich bewegt man sich auf internationalem Niveau, singt Englisch und bleibt in den Aussagen verschwommen.

Morgen, 21 Uhr, Knaack, Greifswalder Straße 224.

Wer weiß schon, daß Skins in den frühen Tagen nun weiß Gott nichts mit Nazis zu tun hatten, daß selbst Oi!-Musik noch kein Nazipunk war und daß Skinsein einfach der Versuch war, dem eigenen Dasein als Arbeiter eine selbstbewußte Deutung zu verpassen. Hierzulande ist die Szene völlig niedergedrückt von den Medien, die Glatze mit Skin mit Fascho gleichgesetzt, aber in Großbritannien sieht die Sache schon aufgrund der längeren Tradition noch differenzierter aus, können Bands wie Another Man's Poison eben noch Skins sein, können noch Oi! machen und müssen trotzdem nicht die Ärmchen recken. Eine Gelegenheit, Verkürzungen aufzuholen, die das Medienzeitalter so mit sich bringt.

Morgen, 21 Uhr, Thomas- Weißbecker-Haus, Wilhelmstraße 9.

Françoise Cactus, ihres Zeichens die hochaufgeschossenste singende Schlagzeugerin Berlins, hat nach dem Ableben der vom lokalen Kultstatus verfolgten Lolitas die nicht weniger verkulteten Stereo Total eröffnet. Die sind fast noch multikultureller als die Lolitas, setzen aber ganz ähnliche Einflüsse ähnlich trashig um. Der Charme liegt immer noch in der groben Herangehensweise an sensible Musiken. „Wie steht der Hamburg-Berlin-Diskurs jetzt?“ hat die Insel als Motto über diesen Abend geschrieben und deshalb noch Brüllen eingeladen. Ebenfalls ein Trio, geführt vom ehemaligen Sänger der Kollosalen Jugend. Der hat seine assoziativen Wortschwälle von dort mitgebracht, und die Musik hoppelt sehr verspielt. Bleibt zu bezweifeln, ob ein Diskurs stattfinden kann, wenn die Sprachen so weit auseinander stehen.

Morgen, 22 Uhr, auf der Insel, Alt-Treptow 6.

Immer noch ihren Gemischtwarenhandel betreiben Green Hill, die inzwischen aus Erfurt nach Berlin umgesiedelt sind. Da wird recht romantischer Poprock mit reichlich Elektronik übel aufgeblasen, werden englisch trockene Gitarrenstücke leger abgeliefert oder mal kurz „The Model“ von Kraftwerk als Reggae gecovert. Alles hochprofessionell und deshalb etwas blutarm, genug zum Nachhören, genug zum Tanzen, und wenig mehr.

Morgen, 24 Uhr, Café Swing, Nollendorfplatz.

Mit jeder neuen Platte verfestigen Jingo de Lunch ihren Status als Berlins beste Metal-Band ein wenig mehr, auch wenn sich schon seit einiger Zeit keine Entwicklungen mehr ablesen lassen. Getragen von differenzierten Riffs, einem Groove, der in seiner Relaxtheit an die besten Momente von Thin Lizzy erinnert, und vor allem von Yvonne Ducksworth' Stimme, die sich zwar knödelnderweise zurückhält, aber einen unglaublichen Wiedererkennungswert besitzt. Die richtigen Hits fehlen zwar immer noch, aber dafür bleiben Jingo solide auf allerhöchstem Niveau.

Am 30.10. um 20.30 Uhr im Loft, Nollendorfplatz.

Einer der größten Säufer unter Gottes hellem Himmel, einer, der auf Konzerten schon mal im speckigen Unterhemd auf dem Barhocker sitzt, und trotzdem einer, der dabei so wunderschön traurig, verloren und mithin aufbauend klingen und singen kann. Jahrelang führte Dan Stuart seine Band Green On Red zu gefühlsmäßigen Tief- und musikalischen Hochpunkten, bis die Wege auseinandergingen. Schon immer hatte Stuart ein Faible dafür, mit befreundeten Musikern ein Wochenende durchzusaufen und das Ergebnis dann dreisterweise als Platte zu veröffentlichen. Diesmal mußte Al Perry dran glauben, der mit seiner Kapelle Al Perry & The Cattle bisher vor allem mit völlig durchgeknalltem Cowpunk in dopingverdächtigen Geschwindigkeiten von sich reden machte. Die musikalischen Differenzen der beiden dürften einen spannenden Abend garantieren, anregende Getränke sind eh Pflicht.

Am 1.11., 21 Uhr, Huxley's Jr., Hasenheide 108-114. Thomas Winkler