„Eine gute Ehe zu dritt“

■ Trotz der starken Wahlverluste kommt die CDU an Diepgen nicht vorbei / Verfassungsrechtler Scholz als dritter Mann?

Wenige Tage nach der Bundestagswahl mußte Eberhard Diepgen, Regierender Bürgermeister und Landeschef der Christdemokraten, eine öffentliche Veranstaltung abrupt abbrechen und ins Krankenhaus gefahren werden. Der Spitzenmann hatte sich in den vergangenen Wochen Termin um Termin aufgehalst und verausgabt. Der Vorfall schien wie bestellt, um die Lage der CDU zu zeichnen: ein wenig schwächlich, ein wenig kränkelnd. Nur einen Tag nach dem 16. Oktober, bei dem die CDU in Berlin den Erfolg der PDS im Osten mitansehen und im Westteil der Stadt herbe Verluste einstecken mußte, hatte die BILD-Zeitung in einem Kommentar Diepgen unverhohlen angegriffen. Ein versteckter Schlag aus der Bundeszentrale? Intern zeigt sich die CDU in diesen Tagen so, wie sie sich am liebsten präsentiert: geschlossen und verschwiegen. Auf einer Fraktionssitzung in der vergangenen Woche hatte der parlamentarische Geschäftsführer Dieter Hapel kräftigen Applaus für seine Bemerkung erhalten, die Rückgänge seien nicht ausschließlich auf die Bundespartei zu schieben. Ein verschlüsselter Angriff gegen Diepgen.

Die Christdemokraten stecken in einer Krise. Im Osten kam die Partei lediglich in Weißensee auf knapp über 20 Prozent, im Westen liefen ihr die Wähler gleich in Scharen weg – minus neun Prozent. Um sich auf die Abgeordnetenhauswahlen im nächsten Jahr programmatisch vorzubereiten, wurden in der letzten Woche drei Arbeitsgruppen gebildet, die sich den Themen Beschäftigung, Mieten und Innere Sicherheit widmen. Fraktionsvorsitzender Klaus-Rüdiger Landowsky, der Diepgen innerhalb der Partei den Rücken freihält, will verstärkt auf die Versäumnisse im Westen eingehen. Allerdings, so betont er, sei damit keineswegs gemeint, Ostberlin „zu benachteilgen“.

Der heimliche CDU-Chef, der mit dem SPD-Landes-und Fraktionsvorsitzenden Ditmar Staffelt die Große Koalition zusammenhält, erstellte seine Hausrechnung für die kommenden Wahlen: Eine höhere Wahlbeteiligung als am 16. Oktober und der Rückfluß der „drei bis vier Prozent“ Leihstimmen für die FDP könnten die CDU wieder zur stärksten Partei machen. Mit 65 Prozent, darunter 35 für die CDU, sei die Fortsetzung der Großen Koalition „wahrscheinlicher als Rot-Grün“. Fliegt die FDP 1995 aus dem Abgeordnetenhaus, würde die CDU auf weiter Flur gegen eine mögliche rot- rot-grüne Mehrheit stehen. Doch ein Abdriften der SPD und der Grünen nach links halten die CDU-Spitzen für wenig wahrscheinlich. Ihr größtes Kapital sind die Widerstände, die eine PDS- Annäherung beim Koalitionspartner und den Grünen auslösen würde. Die Regiewanweisung ist bereits formuliert: die CDU als klare Alternative gegen Links. Der erste parlamentarische Geschäftsführer, Volker Liepelt, steckt die Marschroute ab: Stärker als bisher müsse man den Wählern klarmachen, daß „wir die einzige bürgerliche, nicht linke Kraft in der Stadt sind“. Die CDU müsse so stark werden, daß an ihr „nicht vorbeiregiert“ werden könne. Obwohl weder die SPD noch die CDU aus parteitaktischen Gründen sich offen für ein Festhalten an der Großen Koalition aussprechen, faßt man sich derzeit mit Samthandschuhen an. Er hoffe, so sagt Liepelt, daß man bis zum Sommer „pfleglich“ miteinander umgehe und der Wahlkampf wegen der noch zu bewältigenden Sachthemen bis ins erste Quartal „unter der Decke“ gehalten werden könne. In den letzten Monaten ist Liepelt – wohl nicht ohne Absicht – mehr und mehr an die Öffentlichkeit getreten. Landowsky, so wird seit Monaten gemunkelt, möchte den Fraktionsvorsitz am liebsten abgeben und sich verstärkt in der Privatwirtschaft engagieren. Als sein aussichtsreichster Nachfolger gilt Liepelt. Wie auch bundesweit leidet die Partei am Kohl-Syndrom, wie ein CDU- Mitglied erklärt: Was nach den Jahren von Diepgen und Landowsky komme, sei die Frage, „die sich alle in der CDU stellen“.

Innerparteiliche Widersacher wie Dieter Hapel, die eher dem konservativen Flügel der Partei angehören, sind zwar aus der Bundestagswahl gestärkt hervorgegangen, verfügen aber über keine strategische Mehrheit. In Tempelhof, dessen CDU-Kreisverband Hapel vorsitzt, holte der Verfassungsrechtler Rupert Scholz mit knapp über 50 Prozent das beste Ergebnis aller Direktkandidaten. Nicht verstummen wollen seitdem die Gerüchte, daß sich der frühere Verteidigungsminister nun wieder verstärkt in Berlin engagieren wird. Daß der konservative Jurist ernsthaft die Position von Diepgen bedrohen könnte, glaubt niemand in der CDU. Dafür, so ein Mitglied, wirke Scholz „viel zu spröde“. An dem Landesvorsitzenden und Regierenden, der bei den Umfrageergebnissen der letzten Monate stets hohe Sympathiewerte für sich verbuchen konnte, führt kein Weg vorbei. Für ein möglicherweise verstärktes Engagement von Scholz gibt es in der CDU schon ein neues Schlagwort: Eine „gute Ehe zu dritt“. Severin Weiland