„Das war nur Pfeffer!“

■ Professionelle Drogenfahnder am Werk: Eltern festgenommen, Kinder ohne Aufsicht allein gelassen

Als die 14jährige Ayse Mehmet* vor vier Wochen um 21.30 Uhr die Wohnungstür öffnet, bekommt sie einen heftigen Schock. Sie guckt direkt in den Lauf einer Polizeipistole – Drogenfahnder begehren Einlaß. Hintergrund der Polizeiaktion: Drogenfahnder hatten auf St. Pauli den Bruder der Mutter beim Dealen erwischt – er soll angegeben haben, bei einer seiner Schwestern eine Pistole versteckt zu haben. So geriet die Familie Mehmet ins Visier der Fahnder.

„Als ich von der Spätschicht nach Hause kam, war die ganze Wohnung voller Fahnder“, berichtet der 34jährige Muslum Mehmet, der seit 17 Jahren bei Phoenix in Harburg arbeitet. „Die haben überall nach einer Waffe geguckt. Doch ich hab' ihnen gesagt, daß es in der Wohnung keine Waffe gibt. Und sie haben auch nichts gefunden.“

Beim Stöbern bleibt den Zivilfahndern nichts verborgen. Auch der kleine Wandschrank, in dem Muslum Mehmet Geld aufbewahrt, erregt ihr Interesse. Muslum greift nach einem kleinen roten Täschchen und sagt: „Hier sind 4100 Mark drin.“ Ein Fahnder setzt sich aufs Sofa, holt das Geld aus der Tasche, zählt nach und gibt es Muslum mit den Worten zurück: „Zählen Sie noch mal nach. Nicht daß es heißt, wir haben etwas geklaut.“

Der Dialog wird jäh unterbrochen, als ein anderer Rauschgift-Fahnder ins Wohnzimmer stürmt: „Wir haben ein Kilo Heroin im Keller gefunden.“ Er hält einen weißen Beutel hoch. Muslum bestreitet, daß in dem Beutel Heroin ist. Doch es hilft nichts – er wird verhaftet. Bevor er herausgeführt wird, legt er das Geldtäschchen auf den Wohnzimmertisch. Und auch Ehefrau Naciy Mehmet wird festgenommen und hinausgeführt. Die acht Kinder – darunter ein dreijähriger Junge und der 15 Monate alte Säugling Ibrahim – bleiben zur Nachtzeit allein in der Wohnung zurück. Proteste der Mutter nützen nichts. „Die werden Sie ohnehin die nächsten Jahre nicht wiedersehen, weil sie in ein Heim gebracht werden, wenn Sie ins Gefängnis kommen“, wird ein Beamter zitiert.

Und wo blieb das Täschchen mit den 4100 Mark?

Über eine Stunde verbringen die Mehmets in der Zelle des Präsidiums, bevor ein Beamter kleinlaut die Knasttür öffnet. „Sie können gehen. Das war nur Pfeffer!“ Ohne einen Pfennig in der Tasche werden die Mehmets vor die Tür gesetzt. Als sie wieder zu Hause ankommen, und Muslum schnell in die Wohnung läuft, um Geld fürs Taxi zu holen, ist das rote Täschchen mit den 4100 Mark vom Wohnzimmer-tisch verschwunden.

Mehmets Anwalt Christoph Bode, der mittlerweile an die Polizei einen Brief geschrieben hat, ist über den Vorfall entsetzt: „Angesichts der Nachtzeit und des für die Kinder äußerst besorgniserregenden Polizeieinsatzes mit der Festnahme ihrer Eltern betrachte ich dies als einen verantwortungslosen Vorgang.“ Die Polizei hätte sich zumindest um eine Aufsichtsperson kümmern müssen. Bode: „Noch nicht mal Haustiere werden nach der Festnahme der Tierhalter allein in der Wohnung zurückgelassen.“

Und die 4100 Mark? Geklaut? Beschlagnahmt? Muslum Mehmet: „Ich kann nicht zu 100 Prozent sagen, die Polizei hat es genommen – aber das Geld ist weg.“ Die Polizei bestreitet aber, das Geld beschlagnahmt zu haben. Mehmet: „Es gibt aber nur zwei Möglichkeiten. Die Polizei oder die Kinder haben das Geld genommen. Meine Kinder klauen aber nicht, sie wissen Tag für Tag, wo mein Geld liegt.“ Und auch Bode hegt Zweifel an der Polizeiversion: „Ich gehe nach meiner Berufspraxis allerdings davon aus, daß beim Auffinden größerer Betäubungsmittelmengen regelmäßig auch größere Geldmengen mit Anfangsverdacht von ,Dealergeld' sichergestellt werden.“

Die Polizei hat bislang nicht auf den Bode-Brief geantwortet. Und auch Polizeisprecher Hans-Jürgen Petersen wollte gegenüber der taz keine Stellungnahme abgeben. „Wir werden erstmal den Brief beantworten, bevor wir uns in der Öffentlichkeit äußern.“ Auf die Antwort kann man wohl gespannt sein. Bode: „Warum ist die Polizei nicht in der Lage, vor Ort ein Kilo Pfeffer von einem Kilo Heroin zu unterscheiden?“ Kai von Appen

*Namen geändert