: Ich versuche, nicht zu lügen
■ Unbeirrbar: Herbert Huncke, Urgestein der Beat-Generation aus New York,ist fast 80 Jahre alt, charmant und hip. Als Gast der taz liest er aus seinen Büchern
Kein Zweifel, der Rumtreiber wird auf seine alten Tage noch bequem: „In meinen Alter kann ich doch nicht mehr auf der Straße rumrennen und Stoff besorgen. Nee, ich mach jetzt ein Methadon- Programm, das ist bequemer.“ Auch die Kellerwohnung in New Yorks Lower Eastside hat der 80jährige Drogenliebhaber aufgegeben, seit seinem Beinbruch im Frühjahr. Doch müde, alt, fertig, wirklich „beat“ fühlte sich „Hipster“ Herbert Huncke, als vor ein paar Monaten sein bester Freund und langjähriger Wohngenosse Louis Cartwright in einem Park erstochen wurde. „Das hat mich wirklich fertiggemacht. Das darf doch nicht wahr sein, daß Louis vor mir stirbt.“
Doch Huncke hat in seinem Leben als Outlaw und Drogensüchtiger, schwuler Stricher und Dieb, gelernt, Schicksalsschläge wegzustecken. Nun ist der Hipster, der Hustler, der Unstete wieder unterwegs, auf großer Tournee in Europa. Am Dienstag ist die Ikone der Beatnick-Bewegung Gast der taz: Er, der Modell stand für das Lebensgefühl der Beat-Generation, liest um 21 Uhr im Café „Zapato“ im Tacheles aus seinen Büchern. Seine Geschichten handeln vom Leben am Time Square, in Tunnelröhren, U-Bahn-Klos und Coffeeshops. Mit Jazzer Dexter Gordon ging er klauen, Billy Holiday und Charlie Parker verehrte er glühend, Allan Ginsberg stahl er die Bücher aus der Bude und William S. Burroughs fixte er an. Huncke ist der berühmteste Underdog der Welt – und der am häufigsten portraitierte.
Im engen Sinne kein Revoluzzer
In jedem Buch der Beatnik-Literaten findet sich seine Beschreibung. Sein unbürgerliches Leben als Halbweltler faszinierte die Studenten Ginsberg, Burroughs und Jack Kerouac. Huncke war es, der den Begriff „Beatnicks“ erfand, sein avantgardistischer Lebenswandel wurde zum Vorbild der Beat- Generation, die aufbegehrte gegen das bigotte Nachkriegsamerika. Huncke selbst ist in diesem Sinne kein Revoluzzer: „Ich habe keine Botschaft und schwinge keine Flagge. Ich bin einfach nicht interessiert am bürgerlichen Leben.“ Und die zehn Jahre Knast? „Ich habe ihre Spielregeln nicht akzeptiert, und sie haben mich dafür eingesperrt. That's it.“
Er ist intuitiver Anarchist, ein Intellektueller – und ein glänzender Erzähler. Mit hoher, rauher Stimme schildert er Episoden aus seinem Leben, wickelt die Zuhörer ein, fragt sie dann aus, um sie hernach mit neckischem Tonfall aufzuziehen. Der Mann mit den riesigen Händen und der jugendlichen Ausstrahlung ist ein himmlischer Charmeur und begnadeter Schnorrer, manchmal nur wird er querulantisch, wenn die Drogen knapp werden. Irgendwann überredete ihn Allan Ginsberg zu schreiben. Huncke schrieb, zunächst, um den Kopf freizukriegen. 1980 erschien sein Buch „The Evening Sun Turned Crimson“ (deutsche Übersetzung: Bickford's Cafeteria). Zehn Jahre später kam seine Autobiographie: „Guilty of Everything“.
„Er hat die ungeschminkte Sprache eines Mannes aus der Großstadt, klar, großmütig, wie in einer persönlichen Unterhaltung“, schreibt Allan Ginsberg im Vorwort des Buches. Hunckes Erzählungen sind alle echt, direkt, unmittelbar. Erzählt wird einfach alles, ohne Rücksicht darauf, wie er selbst dabei wegkommt. Seine Sprache ist uneitel, ambitionslos und so ehrlich und ungeschminkt wie die Hinterhöfe von New York. „Ich schwöre, ich versuche, nicht zu lügen“, sagt Huncke kokett. Warum sollte er auch: „Mir fällt einfach nichts ein, was ich bei einem neuen Versuch anders machen würde. Vielleicht ein paar Kopfschmerzen vermeiden ... Aber meine Jagdgründe, die wären die gleichen.“ Michaela Schießl
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