Die Freiheit der Mangelverwaltung

■ Bisherige bürokratische Finanzierung der Theater wird abgeschafft, aber den Bühnen fehlt das Geld zum Wirtschaften

Diese Reform war sicher notwendig. Ab 1. Januar 1995 werden die Berliner Staatstheater nicht länger kameralistisch, sondern finanzbuchhalterisch verwaltet. Kameralistisch, das heißt: Die Staatsgelder wurden streng auf einzelne Töpfe verteilt. Wurden sie nicht ausgeschöpft, drohte im Jahr darauf eine Kürzung. Personal- und Sachkosten wurden nicht gegeneinander aufgerechnet, und Einnahmen durften nicht investiert werden. Ab nächstes Jahr nun haben die Bühnen die Freiheit, mit ihren Subventionsgeldern so zu schalten und zu walten, wie sie es für richtig halten.

Allerdings wird es dann kaum noch etwas geben, was umverteilt werden könnte. Denn der Reform ging der Plan für den Doppelhaushalt 1995/96 voraus, demzufolge alle betroffenen Bühnen (neben den drei Opern das Deutsche Theater, die Volksbühne, das Maxim Gorki Theater und das carrousel Theater) in beiden Jahren mit drastischen Subventionskürzungen zu rechnen haben. So bekommen die Theater zwar das Instrumentarium in die Hand, längerfristig durch Umschichtung und Umstrukturierung zu sparen, aber sie haben von vornherein keinen Handlungsspielraum mehr – die abstrakte Variante betriebswirtschaftlicher Freiheit.

Erschwerend kommt hinzu, daß die Regelung zunächst für zwei Jahre gilt, anstatt, wie einmal vorgesehen, für fünf. Das Berliner Ensemble (BE) hat da Glück gehabt: Als Privattheater hat es schon 1993 einen Subventionsvertrag mit dem Senat abgeschlossen, demzufolge es bis einschließlich 1997 über jährlich 23,3 Millionen Mark frei verfügen kann. Auf die Vorstellung von einer nur zweijährigen Planung will sich BE-Geschäftsführer Peter Sauerbaum bei der Nachfrage gar nicht einlassen. Welche künstlerisch und sozial vertretbaren Strukturreformen könnten sich auch schon innerhalb von so kurzer Zeit rechnen? „Weniger Produktionen wären der Tod“, meint Sauerbaum, dessen Haus aus dem Geschäftsjahr 1993 sogar mit Gewinn hervorging.

Seine Kollegen, die nicht nur wie das BE unter der Inflation, sondern eben auch unter Etatkürzungen zu leiden haben werden, können sich solche Prinzipien nicht mehr leisten. In der Volksbühne werden derzeit Krisenpläne geschmiedet. 1994 erhielt das Haus am Rosa-Luxemburg-Platz noch 26 Millionen Mark, 1995 sollen es laut Haushaltsplan 1,8 und 1996 sogar 2,5 Millionen weniger sein.

Unter solchen Umständen darf die Anzahl der Produktionen keine heilige Kuh mehr sein. Möglicherweise können zukünftig nur noch acht statt bisher zehn Neuinszenierungen je Spielzeit finanziert werden, meint Verwaltungschef André Schmitz. Auch ein Stellenabbau in allen Bereichen sei nicht auszuschließen, ebenso wie eine Erhöhung der Kartenpreise von etwa drei Mark je Kategorie. Für die dann 8/15/21 Mark pro Karte wird das Stammpublikum des Hauses wohl noch Verständnis haben, damit ist die Grenze aber auch fast schon erreicht. Nicht ohne Grund waren die niedrigen Preise eine Bedingung Frank Castorfs, bevor er das 1000-Platz-Theater in Mitte übernahm.

Daß die Abschaffung der Kameralistik allein „keine einzige Mark einsparen“ würde, hält Schmitz für ausgemacht. Reinhard Ellmer, sein Kollege vom Maxim Gorki Theater, bestätigt das. Er kenne sein Haus gut genug, um zu wissen, wo die Grenze erreicht sei. Wie Schmitz sieht er die grundsätzlichen Vorteile, aber: „Die Variante, daß sogar Überschüsse erwirtschaftet werden können, ist momentan undenkbar. Wenn ich an Sparmaßnahmen denken soll, kann ich mir nur überlegen, ob ich das Licht ausdrehe oder das Wasser abstelle.“

Mit welchen Einbußen werden die Staatstheater das Jahr 1996 überstehen? Was wird, wenn 1997 weitere Kürzungen drohen (Was vorstellbar ist, denn eine vertragliche Sicherheit wie das BE haben die Häuser ja nicht)? Die Verwaltungschefs sind ratlos. Es sieht ganz so aus, als ob sich der Senat mit der prinzipiell löblichen Reform letztlich aus der Verantwortung stöhle. Die Theater haben jetzt die betriebswirtschaftliche Freiheit – ihren Mangel selbst zu verwalten. Petra Kohse