„Damals naiv, fast noch ein Kind“

Mogadischu-Flugzeugentführerin Soraya Ansari in norwegischer Auslieferungshaft / Ex-Stasi-Agent: Sie ist nach wie vor PFLP-Agentin / Jetzt weitere Verhaftungen in Deutschland?  ■ Aus Oslo Reinhard Wolff

Sie bittet alle Opfer und ihre Angehörigen um Verzeihung, verurteilt ihre früheren Handlungen und distanziert sich ausdrücklich von jeglicher Gewalt: „Ich war damals naiv, nahezu noch ein Kind.“ In Interviews mit den norwegischen Tageszeitungen Dagbladet und Verdens Gang versucht eine Frau, die von den JournalistInnen als verzweifelt und physisch wie psychisch gebrochen beschrieben wird, glaubwürdig zu machen, daß sie eine andere ist als 1977. 1991 kam sie unter dem Namen Souhaila Sayeh als angeblich Staatenlose nach Norwegen, ist verheiratet und hat eine neunjährige Tochter. Die Familie hat mittlerweile viele norwegische Freunde gefunden.

Tatsächlich heißt sie Soraya Ansari, hatte am 13. Oktober 1977 in Palma de Mallorca mit drei anderen Palästinensern die Lufthansa-Maschine „Landshut“ bestiegen und unter Waffengewalt zum Flugplatz der somalischen Hauptstadt Mogadischu entführt. Die Gruppe forderte die Freilassung von Gefangenen der RAF in der Bundesrepublik und zweier palästinensischer Gefangener, die in türkischer Haft saßen. Die Gruppe erschoß den Flugkapitän und drohte mit weiteren „Hinrichtungen“. Nach vier Tagen schlug die deutsche Antiterroreinheit GSG 9 zu, drei der Entführer wurden getötet. Soraya Ansari überlebte mit schweren Verletzungen. Von einem somalischen Gericht zu zwanzig Jahren Haft verurteilt, wurde sie nach zwei Jahren – offiziell wegen ihres schlechten Gesundheitszustandes – auf freien Fuß gesetzt und tauchte im Irak unter.

Als sie mehr als zehn Jahre später auf dem Flughafen von Oslo wieder auf der Bildfläche erschien, gab sie laut Ellen Holager Andenes, Polizeichef von Oslo, an, aus Zypern zu kommen und keinen Paß zu besitzen. Den Mann, mit dem sie zusammen eine neunjährige Tochter hat, soll sie in den achtziger Jahren in der DDR kennengerlernt haben; dort soll sie – so der Ex-Stasi-Agent Jörg Meyer gegenüber norwegischen Medien – unter einem falschen Namen mehrere Jahre lang gelebt haben. Die Sicherheitsbehörden hätten ihre tatsächliche Identität gekannt. Und, so Meyer, sie müsse als „schlafende Agentin“ der militanten Palästinenserorganisation PFLP gelten. Entgegen ihren jetzigen Beteuerungen habe sie sich nie von der Organisation distanziert – sonst hätte ihr die PFLP die Ausreise nach Norwegen verweigert, so Meyer in einem Interview mit der Tageszeitung Dagbladet. Meyer vermutet, sie sollte sich zum Schein in Norwegen eine Existenz aufbauen, um in einigen Jahren wieder „aktiviert“ werden zu können. Eine Theorie, der Norwegens Medien kaum Glauben schenken, da gerade der norwegische Geheimdienst bekannterweise über extrem gute Verbindungen zum israelischen Geheimdienst Mossad verfügt. Kaum ein anderes Land wäre weniger geeignet für „schlafende“ palästinensische Agenten.

In Norwegen rätselt man nun, warum die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe erst jetzt aktiv wurde und nach drei Jahren ein Auslieferungsbegehren stellte. Daß man gerade erst über Stasi-Akten auf sie gestoßen sein könnte, wird von Karlsruhe ausdrücklich verneint. Theorien, man sei ihr nach der Verhaftung von „Carlos“, dessen Geliebte sie gewesen sein soll, auf die Spur gekommen, sind ebenso zweifelhafte Spekulation wie die Meldung, der israelische Geheimdienst Mossad habe Oslo und Bonn einen Tip gegeben. Das aufgrund seiner Regierungsnähe gewöhnlich gut unterrichtete Arbeiderbladet: Wenn westliche Geheimdienste nicht seit Jahren von ihrer Identität wußten, könne man sich das Geld für solche Organisationen sparen.

Heidi Bache-Wiig, Ansaris Rechtsanwältin, ist irritiert darüber, daß die Bundesrepublik ihre Mandantin nach 17 Jahren und trotz der vorangegangenen Verurteilung nicht in Ruhe ein neues Leben aufbauen lassen will. Die Anwältin ist überzeugt, die Auslieferung nach Deutschland mit juristischen Mitteln verhindern zu können: „Verschiedene Gründe stehen einer Auslieferung entgegen, ihre Familie, ihre Verurteilung und Haftverbüßung. Sie hat physisch und psychisch genug gelitten in den letzten 17 Jahren.“

In seiner jüngsten Ausgabe berichtet Dagbladet, nach Verhören Ansaris durch die deutsche Polizei am Donnerstag sei mit weiteren Verhaftungen in Deutschland zu rechnen. Seit ihrer Verhaftung habe sich Ansari den deutschen Behörden gegenüber sehr kooperativ gezeigt und eine Liste mit Namen mutmaßlicher Terroristen übergeben, die von Deutschland aus operieren sollen. Darunter sei angeblich auch ein zum „inneren Kreis“ der Roten Armee Fraktion gehörender Mann. Aus der Bundesanwaltschaft gab es zu diesem Bericht keinen Kommentar.