Die Linken der Jahrtausendwende?

Die Bundestagsgruppe der PDS auf der Suche nach „einheitlichem Erscheinungsbild“ / Auf Klausurtagung ostiges 10-Punkte-Programm als Arbeitsgrundlage beschlossen  ■ Aus Bonn Erwin Single

Stefan Heym gefällt das Bühnenbild. Nicht weil der Bundesadler über seinem Haupt zu sehen sein wird und auch nicht, weil er angeblich so gut mit der Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth harmoniert. Angetan hat es dem greisen Dichter mehr das Ambiente des Hohen Hauses, dem er künftig als Alterspräsident vorstehen wird. „Wenn die nicht noch einen älteren finden“, befand der neue Star der PDS gestern, „werde ich wohl den Bundestag eröffnen müssen.“

Neben all dem protokollarischen Krimskrams, ergänzte Heym, werde er noch Zeit finden „für ein paar kurze Bemerkungen“. Aber nicht etwa mit seinem unzerstörbarem Glauben an einen „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ will er die 672 Parlamentarier unterhalten, auch wenn es ihn noch so freut, daß sein Vorgänger, der stockkonservative Alfred Dregger, nun keine Gelegenheit mehr bekomme, „seinen chauvinistischen Salm loszuwerden“.

Wer wie der 81jährige ein „Alterspräsident aller Abgeordneten“ sein will, muß versöhnlichere Töne anschlagen. Nur soviel ließ er durchblicken: „Von mir können sie Überraschungen erwarten.“

Überraschungen – das ist aber auch schon alles, mit was „Gysis bunte Truppe“ (Wahlwerbung) das Bonner Politestablishment noch in Erstaunen versetzen kann. Im Parlament haben deren 17 Vorgänger keine einzige Initiative durchgebracht oder auch nur ein Gesetz mitgeprägt. Man kann dies bedauerlich finden oder nicht – ändern wird sich daran vermutlich auch künftig nichts. Denn trotz aller Stimmengewinne bleibt die Partei des demokratischen Sozialismus für alle anderen weiter ein rotes Tuch, auch die Oppositionsfraktionen von SPD und Bündnis 90/ Grüne haben einen harten Abgrenzungskurs gegenüber ihren roten Nebenbänklern angekündigt.

Mit 30 Abgeordneten zieht die PDS in den neuen Bundestag ein, ein zusammengewürfelter Haufen aus DDR-Nostalgikern, politischen Weltenbummlern und jüngeren Linken. Mehr als ein Drittel ist ohne Parteibuch, neun von ihnen saßen schon im Bonner Parlament.

Einer von ihnen, Heinrich Graf von Einsiedel (73), kann nicht nur ein hohes Alter, sondern auch eine respektable Biographie aufweisen. Weit schwieriger wird es allerdings, wenn man den Urenkel Bismarcks so reden hört. „Jetzt ist die Zeit gekommen, sich wieder als Sozialist zu bekennen“, tönte er im Frühjahr, macht aber auch bei jeder Gelegenheit klar, wieviel das Nationale ihm im Grunde bedeutet. Da ihm Sozialpolitik nicht so liegt, will er sich lieber um Militär- und Außenpolitik kümmern. In der PDS-Gruppenriege findet sich auch Vielschreiber Gerhard Zwerenz (69), der sich als Spitzenkandidat auf der DKPlastigen Landesliste Hessens in den Bundestag verirrt hat wie in die endlosen TV-Talkrunden. „Was ich tun werde“, bekannte Zwerenz, „weiß ich noch nicht.“

Sehen so die Linken der Jahrtausendwende aus? So ganz ins Bild passen will auch Winfried Wolf nicht, der sich zwar als Verkehrsexperte Renommee verschaffen konnte, aber politisch stets eine Außenseiterrolle spielte. Und ob die politische Vergangenheit von Ulla Jelpke (Ex-KB) und Heidi Knake-Werner (Ex-DKP) neben Christa Luft, der letzten DDR-Wirtschaftsministerin, eine der beiden stellvertretenden Gruppensprecherinnen, die beiden westdeutschen Frauen an einem Strang ziehen läßt, ist fraglich. Dagegen wollen der ehemalige Berliner HBV-Chef und künftige parlamentarische Geschäftsführer Manfred Müller, Gerhard Jüttemann, Betriebsratsvorsitzender der geschlossenen Kali-Werke Bischofferode und die bayerische Schlosserin Eva-Maria Bulling Schröter sich gemeinsam für die Interessen der Werktätigen stark machen. Ganz aus dem Rahmen fällt die von den Bündnisgrünen übergewechselte Abgeordnete Christina Schenk, die gar glaubt, Parlamentsgeschichte zu schreiben: „Ich bin die einzig offenlebende Lesbe im deutschen Bundestag.“

Wie gut der 30köpfige Haufen zusammenhält, muß sich erst zeigen. Schon vor der Wahl wurden sie vorsorglich auf ein PDS-Schulungsseminar geschickt, um sie dort auf Programmatisches und ein „einheitliches Erscheinungsbild“ einzuschwören.

Auf ihrer zweitägigen Klausurtagung hat die PDS-Gruppe eine 10 Punkte umfassende Arbeitsgrundlage beschlossen. Darin stehen die Themen Arbeit und Wohnen als „strategische Politikfelder“, von der Parteispitze schon lange ausgemacht, ganz weit oben an. Weiter mit auf der Liste: ein Aktionsprogramm zur Bekämpfung der Armut, mehr unmittelbare Demokratie, die Forderung nach einer Ost-Kammer, die Gleichstellung der Frau oder der Kampf gegen Rassismus, Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit. Wie das konkret aussehen soll, ließ Gruppenchef Gysi gestern noch offen.