Millionenlöcher im nächsten Haushalt

■ Ampelkrach um Haushaltsdefizit von 16 Millionen: Grundsteuererhöhung geplant / Kürzungen bei Behinderten, Umweltschutz und Kultur auf dem Tisch / Ab heute Sitzungsmarathon

Das wird die Woche der langen Messer: Ab heute werden die diversen Koalitionsgremien der Ampel in Permanenz tagen, und auf dem Tisch liegen Entscheidungen mit reichlich Sprengkraft. Heute abend tagt der Koalitionsausschuß von Senat und Ampel-Bürgerschaftsfraktionen zu solch haarigen Streitpunkten wie Verlegung der Radio Bremen-Sendemasten, Veränderung des Personalvertretungsgesetzes, neues Schulgesetzt und Erhöhung der Grundsteuer. Und ab Dienstag beginnt der Sitzungsmarathon zum Haushalt 1995. Aus guten Grund sind gleich drei Termine zu dem Thema angesetzt: Noch klaffen im kommenden Haushalt Löcher von mindestens 16 Millionen Mark, und noch weiß niemand, wie die gestopft werden sollen. Am vorletzten Dienstag war der Senat nach diesem Thema ergebnislos auseinandergelaufen. Morgen soll es nun zu einer Mega-Elefantenrunde aus Senat, Fraktionsvorständen und Parteivorsitzenden kommen. Am Mittwoch tagt der Senat gemeinsam mit dem Haushaltsausschuß, und für den Donnerstag ist noch einmal ein Not-Termin anberaumt, falls es bis dahin keine Einigung gegeben haben sollte.

Auch eineinhalb Wochen nach der ersten Haushaltsdiskussion zeichnet sich keine Lösung im Senat ab. Nach wie vor stehen die Vorschläge, die das Finanzressort und das Rathaus Mitte Oktober ausgearbeitet haben. Und mit denen haben einige Koalitionäre reichlich Bauchschmerzen. Zum Beispiel die FDP. Die hat eines der Haushaltsthemen auch gleich für die Runde am Montag angemeldet: In der Vorlage zu den Haushaltsschwierigkeiten wird der Vorschlag gemacht, zwar keine Straßenreinigungsgebühr zu erheben, aber dafür die Grundsteuer um dreißig Punkte hinaufzusetzen. Dazu hat sich die FDP schon bei der letzten Bürgerschaftssitzung erklärt. Da hatte der FDP-Fraktionsvorsitzende Heinrich Welke die Grundsteuererhöhung kategorisch abgelehnt. Die war erst Anfang des Jahres von 460 auf 490 Punkte angehoben worden. Begründung: Eine Straßenreinigung des Senats sei erst zum 1.1.1995 durchführbar. Bis dahin werde die Straßenreinigung über die Grundsteuer abgerechnet. Nach der Einführung einer Straßenreinigungsgebühr werde die Grundsteuer wieder auf den alten Stand von 460 gesenkt. Davon ist nun nicht mehr die Rede. Der Senat solle seinen Beschluß revidieren, empfiehlt der Finanzsenator, und stattdessen die Steuer um weitere 30 Punkte auf 520 hinaufsetzen. Damit wäre die Straßenreinigung immer allerdings immer noch nicht ganz bezahlt. Defizit: 3,9 Millionen, trotzdem ein Kollisionskurs mit den Liberalen.

Schwer gebeutelt werden nach den bishereigen Vorstellungen vor allem die Grünen. Schon am Freitag zündete die grüne Fraktionssprecherin Karoline Linnert die erste Warnrakete: Finger weg vom Landespflegegeld, forderte sie. Aus gutem Grund, denn die Landeszahlungen an Behinderte stehen auf der Streichliste, mit der der Finanzsenator das 16-Millionen-Defizit ausgleichen will, das nach den Haushaltsberatungen zum kommenden Jahr geblieben war. Die Zahlungen sollen nur noch einkommensabhängig vergeben werden. Einspareffekt: 2,5 Millionen. Und noch ein weiterer alter Bekannter aus vielen vorangegangenen Sparvorschlägen findet sich auch auf der aktuellen Streichliste wieder: Der Fahrdienst für Schwerbehinderte soll auf 200 Mark pro Fall und Monat begrenzt werden, eine Regelung, gegen die die Betroffenen schon x-mal Sturm gelaufen sind. Einspareffekt: eine Million.

Mit dem Haushalt wird auch über die Müllgebühren entschieden. Die haben in den vergangenen Wochen für reichlich Wirbel gesorgt, unter anderem, weil die SPD, vor allem die aus dem Bremer Westen, im Wahlkampf ordentlich Stimmung gegen den grünen Umweltsenator Ralf Fücks gemacht hatte. Wie sie von dieser Position wieder herunterkommt, wird eine der Fragen der kommenden Tage sein. Denn plötzlich scheint alles nicht so gemeint gewesen zu sein. Der SPD-Finanzsenator und das Rathaus nehmen in ihren Haushaltsvorschlägen gerne die Idee des Umweltressorts auf, die Bremer Zahlungen für die Bremerhavener Müllbeseitigungsanlage auf die Müllgebühren umzulegen. Mit dem Geld werden Kapazitäten in Bremerhaven vorgehalten, um die Bremer Entsorgungssicherheit sicherzustellen. Bislang wurde das aus Steuermitteln beglichen, nun sollen die Gebührenzahler ran. Darüber herrscht große Einigkeit. Riesenkrach zeichnet sich nur in der Frage ab, was mit den freigewordenen Haushaltsmitteln passieren soll. Ursprünglich hatte es eine Einigung zwischen dem Umwelt- und dem Finanzsenator gegeben, die freien Mittel fifty-fifty in den großen Einspartopf zu geben und beim Umweltsenator zu belassen. Der wollte damit die Umwandlung des Gartenbauamtes in einen Eigenbetrieb fördern, Stadtentwicklungsprojekte wie „Stadt am Fluß“ finanzieren oder die Umsiedlung des Recyclinghofs Findorff bezahlen. Die Absprache ist geplatzt, heißt es aus Senatskreisen. Bis auf Umzug des Recyclinghofs soll Fücks jede eingesparte Mark abgeben – und ist darob stinksauer.

Nicht weniger sauer ist seine grüne Senatskollegin Helga Trüpel, und das wegen der Sparvorschläge für das Wirtschaftspolitische Aktionsprogramm (WAP) des liberalen Wirtschaftssenators Claus Jäger, aber zur Kürzung vorgeschlagen ist nur ein Posten: drei Millionen – mit denen sollte der Kulturhaushalt aufgestockt werden.

Jochen Grabler