PDS auf Westkurs

■ Auf ihrem Landesparteitag kündigte die Partei verstärktes Engagement in Westbezirken an / Gegen die Länderfusion

Für eine gesellige Runde unter Genossen hatte sich die PDS auf ihrem Landesparteitag etwas Besonderes einfallen lassen. An einem Stand im Foyer der Kongreßhalle am Alex konnten die Delegierten am Wochenende für sechs Mark Rotweinflaschen erwerben, auf deren Etiketten das Berliner Bundestagswahlergebnis von 14,8 Prozent prangte. Doch statt Selbstgenügsamkeit zu pflegen, blickte die Partei lieber nach vorn. Die Richtung wies am Samstag die Landesvorsitzende Petra Pau: Zwar habe man am 16. Oktober in Westberlin noch „keinen Durchbruch“ erzielt, gewinne „aber deutlich an Akzeptanz“. Bei den Wahlen zu den Bezirksverordnetenvesammlungen 1995 prophezeite sie den Einzug von PDS-Fraktionen in Kreuzberg – wo die PDS zuletzt 7,5 Prozent erhielt –, Tiergarten und Schöneberg. Das verstärkte Engagement im ehemaligen Feindesland, die Profilierung zu einer „gesamtstädtischen Partei“, stand im Mittelpunkt der zweitägigen Debatten. Folgerichtig verkündete der Wahlkampfleiter Jens-Peter Heuer, man werde zur Abgeordnetenhauswahl 1995 „jede zweite Mark“ in den Westen stecken.

Den programmatischen Schwerpunkt hatte am Vortag der stellvertretende Landesvorsitzende Thomas Nord mit den Themen Verwaltungsreform und Länderfusion gesetzt. Die „Mächtigen“ versuchten über den Verwaltungsabbau die Stadt auf „Großprojekte und eine Dienstleistungsmetropole für Beamte und Besserverdienende“ zuzuschneiden und mit einem daran anschließenden gemeinsamen Bundesland Berlin- Brandenburg einen „Sozial- und Demokratieabbau“ voranzutreiben. Doch auch die eigens vorgeschlagene Alternative einer Länderkooperation ist keinesfalls unumstritten. „Wir brauchen eine Vertiefung des Themas“ erklärte der PDS-Ehrenvorsitzender Hans Modrow gegenüber der taz. Die endgültige Marschrichtung soll daher auf einem Sonderparteitag Ende dieses oder Anfang nächsten Jahres festgelegt werden.

Vor allem die Sorge vor der eigenen Courage beschäftigte die Delegierten. Unter Gelächter konstatierte Nord: „Das Regieren müssen wir nicht mehr lernen, auf diesem Gebiet verfügen wir über einen großen Erfahrungsschatz.“ Nun komme es darauf an, sich auf die Oppositionrolle zu konzentrieren, um in zwei bis drei Jahren eine anerkannte Kraft zu sein.

Deutlicher als ihr Stellvertreter umriß Pau die verschiedenen Interessen, die der PDS entgegengebracht werden und die an ihrem Selbstverständnis als einer Gegenmacht zum herrschenden System kratzen. Ein Teil der Wähler wolle die PDS nur als Opposition, ein anderer sehe in ihr eine potentielle Regierungspartei und wiederum andere eine ostdeutsche Interessenvertretung. Angesichts der derzeitigen Stimmungslage bei SPD oder Bündnis 90/Die Grünen fiel es Pau jedoch nicht schwer, eine Regierungsbeteiligung nach 1995 auszuschließen. Dennoch sei man bereit, unter bestimmten Voraussetzungen eine rot-grüne Koalition zu unterstützen.

Indirekt mahnte der Chef der Bundestagsgruppe, Gregor Gysi, am Samstag die Partei, sich schon einmal auf eine Regierungsbeteiligung vorzubereiten. Als Indiz für einen Stimmungsumschwung wertete der gewiefte Politiker die jüngsten SPD-PDS-Gespräche in drei ostdeutschen Bundesländern, mit denen ein „entscheidender Durchbruch“ gelungen sei. Themen wie die neuesten Stasi-Vorwürfe gegen Gysi oder die Rolle der Kommunistischen Plattform (KPF) spielten auf dem Parteitag keine Rolle.

Artig spendeten die Delegierten der Verteidigungsrede ihres Medienstars Beifall. Gysi selbst umschiffte das heikle KPF-Thema mit der vagen Formulierung, wer Stalinismus und autoritäre Strukturen verteidige, habe in der PDS „nichts zu suchen“. Auf dem ansonsten spannungslosen Parteitag löste nur die Frage, ob mit einer offenen Landes- oder einer Bezirksliste ins Wahljahr 1995 gezogen werden sollte, eine kurze und heftige Debatte aus. Letztere Variante war von starken Bezirksverbänden aus Marzahn und Hellersdorf favorisiert worden, um den eigenen Einfluß zu bewahren. Doch mit großer Merheit entschieden sich die Delegierten schließlich für offene Landeslisten, die nun vor allem den West-PDSlern zugute kommen.

Wer als Spitzenkandidat auf der Landesliste in den Wahlkampf zieht, soll im nächsten Frühjahr geklärt werden. Vorsorglich brachte sich Hans Modrow jüngst im Neuen Deutschland ins Gespräch. Doch der ehemalige DDR-Ministerpräsident, so ein Mitglied der Abgeordnetenhausfraktion, stoße „sowohl in West als auch in Ost nicht auf ungeteilte Begeisterung“. Manchen gilt er als reiner Ost-Interessenvertreter. Immerhin kann Modrow, wie er selbstironisch gegenüber der taz anmerkte, auf West-Erfahrung zurückgreifen. 1958 habe er bei der West-Berliner Abgeordnetenhauswahl als DDR- Bürger auf der SED-Liste in Tiergarten vier Prozent erhalten. Severin Weiland