Der Bäderkönig

Die Karriere des Metzgerssohnes Eduard Zwick, aufgezeichnet in seinen eigenen Worten  ■ Von Manfred Otzelberger

Den Sprung auf das Titelblatt des Spiegel hat der bullige Mann aus der rumänischen Pußta geschafft, aber die bayerische Landtagswahl hat er wider Erwarten nicht entschieden und vor der Bundestagswahl war sein Name schon fast im Blätterwald verhallt: Dr. med. Eduard Zwick, Geldverleiher des ehemaligen bayerischen Finanzministers Gerold Tandler (700.000 Mark), Skandalnudel, Strauß-Spezi, „Bäderkönig“ im Ruhestand, potentieller Steuerkrimineller mit rund 70 Millionen Mark Schulden beim Freistaat Bayern, derzeit in der Schweiz im Exil.

Dort, sicher vor der Auslieferung an die deutschen Behörden, hadert er seit Jahren mit „Haß, Zorn, Mißgunst und Neid“ ärmerer Zeitgenossen und kühlt seelische Wunden, die ihm herzlose Finanzbeamte beigebracht haben. Es müssen wilde Horden gewesen sein, wenn man den Memoiren von Eduard Zwick glaubt, die diese barocke Figur 1986 dem Rest der Welt unter dem Titel „Heißes Wasser“ im Selbstverlag vermachte. Im offiziellen Buchhandel ist diese mit viel unfreiwilligem Humor getränkte Sittengeschichte des Aufstiegs eines Habenichts zum Millionär und Ministerpräsidentensponsor nicht zu erhalten, man muß sein schriftstellerisches Vermächtnis schon für stolze 14,90 Mark in einer der Buchhandlungen des niederbayerischen Kurorts Bad Füssing erwerben, wo Zwicks dynastisches Bäderimperium bis heute „Therapie durch Freude“ verspricht.

Wer Biographien von Metzgerssöhnen, die sich nach oben wurschteln, liebt, ist von diesem Buch fasziniert. Ein berstendes Ego offenbart sich da, ein wehleidiger Narziß heult sich aus, ein Lebenskünstler, der von keinerlei Selbstkritik angekränkelt ist, singt „das Lied meines Lebens in Dur und Moll“. Auf 235 Seiten breitet der „geborene Patriarch“ sein pralles Leben aus. In aller Bescheidenheit versteht sich: Er schreibt über sich in der dritten Person. Im Vorwort, in dem er sich mit der banalen Ichform bescheidet, deutet er seine Leiden an: „Man jagt mich ... Der Mensch Zwick hat das bis heute nicht verkraftet.“

Warum die CSU vor seinen Enthüllungen gezittert hat, verdeutlicht ein offenherziges Zitat des Racheengels Zwick: „Ich kann vergeben und vergessen, es sei denn, ich werde gedemütigt. Das ertrage ich nicht. Wer das versucht, der ist mein Feind. Ich scheue mich nicht, dieses Wort zu gebrauchen. Ich habe Feinde.“ Gemeint sind Finanzminister, Steuerbeamte, Kommunalpolitiker, Konkurrenten, Psychologisch interessant: Zwick glaubt, 50 Abstufungen dessen gefunden zu haben, was der geborene und noch immer in ihm wirkende Metzgerssohn unter dem grobschlächtigen Begriff „Arschlöcher“ zusammenfaßt.

Als Kronzeugen zitiert „der weitsichtige Arzt und Geschäftsmann“ einen anderen Metzgerssohn, niemand geringeren als den ihm schon figürlich ähnlichen Franz Josef Strauß, mit dem er den Vatikan besuchte, ergriffen den Regensburger Domspatzen lauschte, mit Puffmüttern über Immobilien verhandelte und rauschende Geburtstage feierte. Schnorrerkönig Strauß, der seinen Freund trotz Haftbefehl noch in der Schweiz besuchte, gab seinem stets blechenden Zechgenossen quasi eine Generalabsolution: „Menschliche Unzulänglichkeit, seelische Stuhlverstopfung, geistige Verengung“ bescheinigte der CSU-Führer, der wie Altbundeskanzler Kiesinger gerne Zwicks Privatjet benutzte, den diversen Gegnern seines dicken Kumpels, der Strauß und die CSU mit hohen Summen bei Laune hielt.

Gebracht hat dem „lieben Edi“ die verschwitzte Nähe zum „lieben Franz“ angeblich wenig: „Die Verbindung zu Strauß zeigt auch, daß die hohe Politik kaum mehr Einfluß auf die Administration hat. Vorteile erwachsen dem Doktor keine. Noch nicht einmal der Privatisierungsgedanke im Gesundheitswesen kommt voran“, schreibt er über die „Gespräche unter Männern“.

Nun ja, wer's glaubt. Wenn's um stattliche staatliche Gelder ging, hörte die Freundschaft zwischen diesen beiden bayerischen Kraftwerken jedenfalls keineswegs auf. Strauß gab Zwick bei den „Gesprächen der beiden Geister“ sogar den Tip, sich prozeßunfähig schreiben zu lassen. Gar nicht nötig: Zwicks Phantasie, Steuern einfach nicht zu bezahlen, war sowieso schon nicht zu überbieten. Er berief sich ganz naiv auf Unfähigkeit: „Ich bin Mediziner, kein Buchhalter.“ Ein Dummbeutel sei er halt, wenn es um Zahlen gehe: „Auch heute noch verstehe ich nichts von diesen Abschreibungen. Und Bilanzen lesen kann ich auch nicht. Bei dem ganzen Salat geht es mir wie etwa einem Steuerfahnder, der ein EKG deuten soll.“ Selbst einen Kirchenvater, den heiligen Augustinus, bemüht der fiskalische Anarchist mit dessen angeblicher Äußerung: „Der Staat ist die größte organisierte Räuberbande.“

Wo stand die Wiege eines solchen Finanzgenies, das nicht einmal der für Skurrilitäten immer gute Freistaat bis dato gesehen hatte? Geboren wird der Wahlbayer Eduard Zwick am 15. August 1921 als Donauschwabe im rumänischen Banat. Sein Vater ist Fleischhauer, der Sohn tendiert eher zum weißen Arztkittel, seit er von einem Badearzt über die heilsame Kraft schwefeliger Quellen aufgeklärt wurde. Dieser Gedanke – durch heißes Wasser heilen – wird Eduard Zwick ein Leben lang nicht mehr loslassen. Eine „Zigeunerin“ sieht „viel Wasser und Dampf“ in seinem Leben.

Noch ist es nicht soweit. Amouröse Abenteuer haben Vorrang: Bei der Französischlehrerin, der er Hefte nach Hause bringen muß, entdeckt er „eine unbändige Liebe zur Sprache des deutschen Erbfeindes“. Eduard Zwick verläßt die Privatstunden „in jeder Beziehung als ganzer Mann“. Selbst eine junge Jüdin namens Puty („ein dunkelhaariges graziles Geschöpf mit glutvollen Augen und den weichen Bewegungen einer Raubkatze“) küßt der Mann, den die SS wegen seiner blauen Augen haben will.

Was aus dem Mädchen geworden ist, weiß Zwick nicht. Er will es auch nicht wissen, er geht nach Wien, der Stadt der Musik und der Sünde. Dort studiert er „an einer ziemlich langen Leine“ Medizin und erteilt den jungen Fräuleins „Nachhilfestunden“ auf dem Zimmer. Drei Studentenbuden muß er deshalb räumen, aber Zwick liebt sich als eine Art Gigolo für Arme durch: Den Stempel für die fehlenden botanischen Exkursionen erhält er durch den Einsatz seiner famosen „Nachhilfestundentechnik“ beim Fräulein im Professoren- Vorzimmer. Der Mann kann einem richtig sympathisch werden. Fortwährend menschelt es in seiner Studentenzeit, ein Streber war der sinnenfrohe Charmeur offenbar nicht.

Die nächsten Stationen des Studenten, der nicht mehr zu Hitlers Krieg eingezogen wird: Es geht zu den „seelischen Kaltblütlern“ nach Greifswald, Breslau, Göttingen. Dorthin hat er sich vor den Russen abgesetzt. Zwick übersteht den Krieg unverletzt und macht dann seinen ersten großen Fehler: Er geht in den Osten zurück und wird von russischen Soldaten verhaftet: ein westlicher Spion soll er sein. Sechs Monate Erniedrigung, Haft, Prügel folgen. Je mehr er seine Unschuld beteuert, um so heftiger schlagen die Russen zu. Offiziere halten ihm die Pistole an die Schläfe und weiden sich an seiner Todesangst. Zwick, dessen Körper mit Schwären und blauen Malen bedeckt ist, möchte sterben. Er lernt wieder beten.

Nach einem halben Jahr ist das Stehaufmännchen wieder draußen. 1948 macht er das Staatsexamen in der sowjetischen Besatzungszone. Und erregt schon mit seiner Doktorarbeit Anstoß: die Folgen von Abtreibungen nach Vergewaltigungen deutscher Frauen durch Rotarmisten. In Ulbrichts DDR will das keiner hören. Die Arbeit vergilbt im Archiv. Aber Zwick erhält den Auftrag, die Poliklinik in Ostberlin aufzubauen. Und versündigt sich dort wieder gegen die sozialistische Moral, als er beim Aufstand am 17. Juni 1953 mit dem Krankenwagen zwischen die Panzer fährt und den Verletzten hilft. „Versorgung von Regimegegnern“ wird ihm vorgeworfen. Danach steht er auf der Abschußliste. Zwick flieht in den Westen und lernt in Würzburg seine Frau Angelika kennen: Ärztin, Oberpfälzerin und Tochter eines Eisengroßhändlers, der den „Hergelaufenen aus dem Balkan“ nicht als Schwiegersohn akzeptiert. Aber die junge Frau, schon mit einer Tochter schwanger, brennt mit ihrem Eduard nach Indonesien durch. Statt Preßack mit Senf in einem Wohnwagen in Würzburg Vulkane, Abenteuer, Dschungel und ein guter Verdienst: Mehr als 35.000 Mark für drei Jahre. Die Weltgesundheitsorganisation sucht dort Ärzte. Zwick hat Erfolg: Auf Sumatra verehren sie ihn, weil er mit DDT die Malaria eindämmt und abergläubischen Frauen vor der Geburt erst einmal geheimnisvolle Magnete aus der Scheide zieht, bevor er die Kinder herausholt. Reiche Chinesen beschenken ihn, weil er sie heilt. Am Vulkan Merapi entsteht sein 150-Betten-Krankenhaus, wo Sohn Johannes geboren wird.

Dieser Johannes wird später zum Namenspatron des Bäderimperiums, das Zwick im niederbayerischen Füssing errichtet. Dort läßt sich der Tropenarzt nach seinem dreijährigen Trip in den Dschungel 1958 nieder. Der Kurort im Inntal wird zur Goldgrube für den Arzt. Zwick läßt auf eigene Faust bohren: ein Millionenrisiko. „Habemas aquam“, heißt es dann am 22. August 1964. Die „Johannesquelle“ schießt in einer 30 Meter hohen Fontäne hervor. Sie ist so viel wert wie eine Lizenz zum Gelddrucken. Zwick baut das größte Privatbad in Europa. Goldene Dämpfe schießen aus dem Schoß der Erde, Fluoride und Bromide, Jodide und Phosphor machen Zwick steinreich und die Region pappsatt. Bis die tückischen bayerischen Steuerfahnder die Idylle zerstören und Zwick zur bangen Frage bewegen: „Lohnt es sich überhaupt noch, in Deutschland zu investieren?“ Die „provinziellen Beamten“ wollen einfach Zwicks Version nicht glauben, daß er seine verlustträchtigen, „Liebhaberbetriebe“ von der Steuer abschreiben kann: eine eigene Airline, eine geplante Arzneimittelfabrik in Zaire, eine Fabrik mit Penthouse auf Westsamoa, eine Farm in Nevada auf einem Land mit heißen Quellen. Diese „Horseshoe-Ranch“ mit 7.000 Rindern, denen er natürlich wie Zorro ein „Z“ einbrennen läßt, liegt ihm besonders am Herzen, weil sie sein Bewußtsein schärft: „Jeden Morgen begrüßt der Bock den Doc. Diesem fällt stets ein, daß in Europa sein Berufsstand zu den Sündenböcken der Nation avancierte.“

Schnöde „Jagdszenen aus Niederbayern“ haben Zwick 1982 aus dem schönen Bayernland vertrieben. Er hat sich in seine bescheidene Villa im Tessin zurückgezogen: „Orbisana“ heißt sie, auf deutsch „heile Welt“. Er klagt, daß er herzkrank sei, an Zucker leide, der Bluthochdruck, über den er pikanterweise seine zweite Doktorarbeit schrieb, ihm selbst arg zu schaffen mache.

„Materielle Güter machen weder gesünder noch glücklicher“, wußte er schon 1986. Zahlen mag der Erfolgsmensch mit der „überdurchschnittlichen Durchsetzungskraft“ seine Schulden trotzdem nicht. Und die riesige 80.000 Mark teure „Johannesglocke“, die der Wohltäter Bad Füssing stiftete und von der Steuer absetzte, wird noch lange ebenso vergeblich Zwick ins gußeiserne Gewissen läuten wie die Zikaden in Zwicks Garten in Lugano zirpen.

Und noch hat der ehemalige Tropenarzt Freunde. Die Schwester von Tongas König Taufatapahu schrieb ihm einen „enthusiastischen Brief“, berichtet Zwick stolz: „Die Insulaner schätzen beleibte Menschen besonders. Für sie wohnen Intelligenz und Bedeutung zwar auch in den Hirnen, der Bauch aber zeigt den Erfolg der Anwendung.“ Den Dank des Vaterlandes hat er sich allerdings anders vorgestellt: „Wenn ich nun an Deutschland denke, kommen mir gelegentlich die Tränen, von meinen Leistungen ist bei der Obrigkeit nichts zu sehen, nichts zu hören, nichts zu spüren.“

Und wenn einem soviel Unbill wiederfährt, ist das schon ein bißchen Philosophie wert: „Der Mensch soll nach innerem Wachstum streben, die Menschen werden erfahren, daß schrankenloses Wachstum möglich ist. Tschernobyl war mehr als eine Warnung“, unkt der Vollblutunternehmer am Lebensabend. Selbst über das Verhältnis der Geschlechter hat sich der ehemals so famose Filou Gedanken gemacht: „Anstelle der freien Sexualität, wie sie sich als Reaktion auf eine zu weit gegangene Prüderie entwickeln mußte, wird wieder echte Partnerschaft treten. Sexualität allein kann den Menschen nicht zufriedenstellen, sie macht ihn gierig und ruhelos.“

Das Problem hat Zwick heute nicht mehr. In seinem Kimono läuft der Ion Tiriac des Heilquellenwesens in seiner Villa herum und sinniert über die höheren Werte des Lebens. „Gelebt hat er. Er wurde nicht gelebt“, spricht er gerührt über sich. Bis ihn die Demut übermannt und der abgedankte Bäderkönig sich wieder wie ein „gesattelter Esel“ fühlt.

Die Foto-Ausrisse sind Zwicks

Autobiographie entnommen