Mafia mit japanischen Kugeln

Pachinko-Spielhallen machen in Japan Milliardenumsätze / Besitzer zahlen Schutzgelder statt Steuern, Finanzämter gehen leer aus  ■ Aus Tokio Georg Blume

Seit in Japan mit der Rezession auch der Überschuß im Staatshaushalt zusammenschmolz, werden die Steuereintreiber des Landes wieder gefürchtet. Sogar europäische Firmen wie Hoechst und Ciba-Geigy, die man früher unbehelligt ließ, sahen sich harten Steuerprüfungen unterworfen und mußten am Ende große Summen zuzahlen. Doch von den größten Steuersündern fehlt jede Spur. Unter allerlei Verbeugungen gestanden Tokioter Polizeibeamte, daß eine vor vier Jahren großangelegte Steuerkampagne in der heimischen Pachinko-Spielindustrie kläglich gescheitert ist. Pachinko ist ein primitives Automatenglücksspiel, unserem Flipper nur entfernt verwandt, bei dem der Spieler Hunderte von Kugeln durch ein feines Nagelraster schießt. Nach wie vor weigern sich die Betreiber dieser exklusiv japanischen Spielkultur erfolgreich, den Behörden ihre realen Einkommen mitzuteilen. Allein in Osaka dürfte die Summe der Steuerhinterziehungen in den letzten 12 Monaten über 215 Millionen Mark betragen haben. Ein Vielfaches davon entgeht dem japanischen Staat jedes Jahr an Steuereinnahmen, insgesamt werden die öffentlichen Einnahmenverluste auf mehrere Milliarden Mark geschätzt. Denn die Pachinkobranche macht in Japan mehr Umsatz als die Autoindustrie: 1993 waren es insgesamt 262 Milliarden Mark.

Daß sich die Polizei einen so großen Fisch durch die Lappen gehen lassen kann, ohne landesweit Proteste zu erregen, hat freilich gute Gründe: es erklärt unter anderem die niedrige Kriminalitätsrate des Landes. Tatsächlich überläßt die Polizei bis heute die Kontrolle der Pachinkoindustrie weitgehend der Yakuza-Mafia und versorgt die Gangster mit einer Geldquelle, die mehr abwirft als Prostitution und Drogenhandel. Statt Steuern müssen die Besitzer von Pachinkohallen deshalb monatliche Schutzgelder in der Höhe von etwa 3.000 Mark an die Mafia abtreten – bei den 18.000 Hallen, die es in Japan gibt, verdienen die Gangster so im Jahr 665 Millionen Mark, ohne selbst einen Finger zu rühren. Dafür aber schießen sie in der Regel nur ihresgleichen tot und respektieren gewisse Grenzen, wo es sonst keine gibt.

Ein Spiel für alle Schichten – auch für die Polizei

Wie vertraut sich die Japaner mit dieser gesellschaftlichen Abfindung für die Unterwelt inzwischen gemacht haben, zeigt ihre durch keinen Modetrend zu erschütternde Pachinko-Begeisterung. 29 Millionen Japaner, ein Viertel der Bevölkerung, konnten im vergangenen Jahr vom Kugelspiel nicht lassen. Die Zahl der Spieler ist trotz der Rezession nicht zurückgegangen, während die Einsatzsumme pro Kopf von 1988 jährlich 6.000 Mark sogar auf heute jährlich 9.200 Mark kletterte. Im Trend zu neuen Freizeitaktivitäten wie Skifahren, Golf und Reisen gilt Pachinko in Japan bereits als traditionelles Feierabendhobby für alle Gesellschaftsschichten. Es stört die Spieler auch nicht, wenn schwarze Limousinen die glitzernden Spielpaläste bewachen. Schließlich ist beim Pachinko noch niemand umgekommen.

Wenn der Gesetzesbruch – denn Glücksspiele sind in Japan verboten – so harmlos ist, darf auch die Polizei mitmischen. Nach Auskunft des Wochenmagazins Aera lassen sich 500 ranghohe ehemalige Polizeibeamte in Diensten führender Pachinkounternehmen dafür bezahlen, die Yakuza zu supervisieren, statt sie zu sanktionieren. Wen wundert's also, wenn die polizeilichen Steuereintreiber in den letzten Jahren erfolglos blieben? Vielleicht kommen Hoechst und Ciba-Geigy billiger weg, wenn sie nur den richtigen Stellen Schutzgelder anbieten.