Wo die Erde wackelt

■ Tankred Dorsts „Wie Dilldapp nach dem Riesen ging“

Müssen Riesen böse sein? Und Prinzessinnen blond und brav? Es gibt ein Land, das liegt ganz weit weg, noch weiter weg als Afrika – und doch liegt es auch ganz nah, denn es ist in dem Stück Wie Dilldapp nach dem Riesen ging im Hamburger Schauspielhaus zu sehen. In diesem Land hat die Prinzessin schwarze Haare, schneidet Grimassen und fährt auf Rollerblades durch die Gegend. Auch sonst ist dort vieles anders. Elefanten gibt es dort, Palmen und ganz viele komisch angezogene Menschen – König, drei altjüngferliche Tanten und den netten Onkel Eduard. Tja, und wenn der Riese böse ist, dann wackelt gleich der ganze Erdboden.

Viel gibt es zu sehen in diesem Land. Und da es ja kein Zustand ist, wenn andauernd die Erde wackelt, gibt es auch ein Abenteuer zu bestaunen. Jemand muß den Riesen besänftigen. Das wird der Bäckerjunge Dilldapp tun, gleich nachdem er seine Zimtsterne verloren hat. Und am Ende schließlich, nach erfolgreich bestandenem Abenteuer und vielen Verwicklungen, wird Dilldapp die Prinzessin heiraten. Und wenn sie nicht inzwischen schlecht geworden sind, dann sind sogar bei den jeweiligen Aufführungen noch Zimtsterne übrig.

Tankred Dorst und seine Mitarbeiterin Ursula Ehler haben dieses Märchen für Kinder mit allem nötigen Ernst und Unernst, großer Sorgfalt und Sinn für die Details erzählt. Bestimmt haben sie während der Niederschrift die ganze Zeit geschmunzelt. Da aber Tankred Dorst ein viel zu guter Stückeschreiber ist, um das Leichte nicht ernst zu nehmen, wird er auch ein wenig geschwitzt haben. Die Gesetze des Märchens hat er jedenfalls erfüllt. So gibt es natürlich auch einen Bösen in dem Stück – es ist der überhebliche Mofafahrer Kalle, der die Prinzessin samt Palast und sogar noch einem Frühstücksei für sich haben will, aber natürlich nicht kriegt.

Und es sind schon höchst zauberhafte Figuren, die Dilldapp auf seinem Weg zum Riesen trifft. Die Schnecke Nathalie etwa trägt Gedichte vor, das Perlhuhn Sheila kräht aufgeregt das ganze Theater zusammen, und der Igel namens Meier ist um seinen Nachwuchs besorgt. In der Hamburger Uraufführung hat Götz Loepelmann als Bühnenbildner und Regisseur dazu großen Aufwand betrieben. Manchmal setzt er auf schieren Bombast. Der Riese zum Beispiel ist wirklich riesig. Er ist 137mal so groß wie Dilldapp, und seine Augen sehen aus wie der Mond – aber so richtig böse ist er gar nicht, und Dilldapp hat sowieso keine Angst.

Oft braucht Loepelmann aber auch gar nicht soviel Theater-Brimborium, um den Charme der Figuren zu umreißen. Mit großer Phantasie hat er viele Möglichkeiten für kleine, hübsche Einfälle entdeckt, die sich mit den orientalischen Kostümen zu einer unbeschwerten Buntheit addieren.

Und an einigen Stellen zaubert Loepelmann gar ein bißchen. Dann glaubte man bei der Premiere am vergangenen Sonntag nachmittag sogar als Erwachsener, mit den Augen eines Kindes zu sehen. Und die vielen anwesenden Kinder bekamen einen gleichzeitig einverstandenen wie staunenden Blick.

Dirk Knipphals