„Ich weiß auch nicht, wovon wir jetzt reden“

■ Das Junge Theater klopft vergeblich an beim ,,Nachbarn“ von James Saunders

ABC des Theaters. Seite 1, Absatz 2. Wie spielt man eine peinliche Figur, ohne selber peinlich zu sein? Lutz Gajewski hat in James Saunders Stück ,,Nachbarn“ den Part des peinlichen jungen Mannes übernommen - und alle leiden mit, einen ganzen Theaterabend lang.

„Nachbarn“ handelt, wie der Titel vermuten läßt, von zwei Londoner Hausbewohnern. Der eine, ein junger Schwarzer, klopft bei seiner Nachbarin an. Er möchte sich bekannt machen. Leicht peinlich, weil aggressiv überforsch, versucht er, ein Gespräch anzuknüpfen. Seine weiße Nachbarin gibt sich ausgesprochen tolerant, hat nichts dagegen, gestört zu werden und sieht ihrem Nachbarn den Übertritt in die Privatsphäre nach. Alles nimmt sie hin. Selbst als ihr völlig uncharmanter Besucher vorschlägt, jetzt wo er einmal da sei, könne sie doch auch mit ihm ins Bett gehen, antwortet sie nach kurzer Empörung mit therapeutischem Verständnis.

Damit sind die Karten auf dem Tisch. Das Stück handelt von zweien, die bis zur Lächerlichkeit Gefangene ihrer Vorurteile und Erwartungen sind. Solides Material für ein Theaterstück – oder? Aber leider sehen wir in den Schauspielern ebenfalls Gefangene ihrer Möglichkeiten.

Warum die junge Frau mit dem Sozialarbeitersyndrom sich das bieten läßt? Nomena Struß Interpretation der Rolle klärt nichts. Sie bleibt in der bloßen Reaktion auf die aggressiv vorgetragenen Minderwertigkeitsgefühle des jungen Schwarzen stecken. Lutz Gajewski, dem diese Rolle nicht gerade auf den Leib geschrieben ist, hat große Schwierigkeiten, Sprachgestus oder Körperhaltung zu erfinden, die einen jungen Schwarzen plausibel macht. Gleich im Vornherein ist er von der Maske behindert. Wie einem Othello-Darsteller im letzten Jahrhundert hat man ihm die Mohrenmaske ins Gesicht gemalt. Eine Farbschicht, die Mimik und natürlichen Ausdruck verschluckt und dem Schauspieler die blinde Ziellosigkeit eines Kindergeburtstagsgastes gibt.

So behindert, wie beide durch eine kaum hilfreiche Regie sind, bleibt der Zuschauer irritiert. All die Mühsal, die die Schauspieler auf sich nehmen, um die Verkrampfungen, an denen die Figuren leiden, auf die Bühne zu bringen, teilt sich ungefiltert dem Publikum mit.

Vorgetragen werden dazu mißglückte Gesprächsversuche wie: ,,Ich versteh sie nicht“, beantwortet mit: ,,Na lassen wir das“. Rethorische Krönung des Ganzen: ,,Ich weiß auch nicht mehr so genau, wovon wir eigentlich reden.“ Auch die auffällig falsche Betonung einzelner Silben, sicher als Verfremdungseffekt gedacht, vermögen dem Publikum keine weiteren Informationen zum Seelenzustand der Hauptfiguren geben.

So rätselhaft die Wahl des Stückes durch das Junge Theater bleibt, beim Bühnenbild wollte man offensichtlich keinen Zweifel aufkommen lassen. Hier triumphiert Eindeutigkeit: ein Wohnzimmer! Als läge aller Ehrgeiz im Theater in Zukunft darin, auch noch die berühmte vierte Wand hoch zu mauern. Bei ,,Nachbarn“ blickt man zuerst auf die schwarz gestrichenen Bretter des Ikea. – Erfolgsmodells Steen. Nur wer zufällig über die richtige Körpergröße verfügt und perspektivisch nicht mit einem Pfosten in's Gehege kommt, hat den Blick auf die dahinter liegende Wohnzimmerlandschaft frei.

Daß die Sponsoren, die halfen, das deutsche Wohnzimmer auf die Bühne zu stellen, nicht nur im Programmheft erwähnt werden, sondern mittels Dialogs gleich in den Text integriert werden, läßt aufmerken. Werden Dialoge wie: „Wo haben sie den Schaukelstuhl her?“ auf die Antwort, „Den hab ich von Roller“ bald häufiger auf der Bühne zu hören sein? Mit „Nachbarn“ beginnt das November Programm des Jungen Theaters. Mit einem Nulltarif für alle Veranstaltungen will man ein neues Schnupperpublikum locken, mit Nullniveau wird das nicht gelingen.

Susanne Raubold