Eine Sterbeurkunde

■ Bei Experten stößt die geplante Fusion von Charité und Virchow-Universitätsklinik auf breite Ablehnung

Die geplante Fusion der Universitätskliniken Charité und „Rudolf Virchow“ ist gestern bei einer Anhörung im Abgeordnetenhaus von unabhängigen Wissenschaftlern und VertreterInnen der betroffenen Institutionen durchweg negativ beurteilt worden.

Für den Fall, daß der Gesetzentwurf der Großen Koalition in der vorliegenden Form angenommen wird, prophezeite der Würzburger Experte Kochsiek: „Dann wird es in Berlin keine wissenschaftlich hochstehende Medizin mehr geben.“ Den Gesetzentwurf bezeichnete er als „Sterbeurkunde für Charité und Rudolf-Virchow-Klinik“. Beide Einrichtungen würden „langsam dahinsiechen“, und auch die Humboldt-Universität, die das künftig der Charité zugeordnete Virchow-Krankenhaus von der Freien Universität übernehmen soll, werde „chronisch erkranken“. Zu den Sparzwängen, die von Senatsseite als Argument für die Fusion genannt werden, merkte er an, die Hochschulmedizin werde auf „dem Altar einer falsch verstandenen Ökonomie geopfert“. Kochsiek, der Mitglied in der Struktur- und Berufungskommission der Charité war, sprach sich dafür aus, statt der Fusion eine enge Zusammenarbeit der beiden Universitätskliniken anzustreben.

FU-Präsident Gerlach plädierte dagegen für eine Kooperation aller drei Unikliniken. Er äußerte sich ebenso wie die Präsidentin der Humboldt-Universität, Marlies Dürkopp, und der Dekan der Charité, Harald Mau, ablehnend zum Gesetzentwurf. Dürkopp wies darauf hin, daß ein Abbau von Studienplätzen und teuren Krankenhausbetten auch ohne Fusion möglich sei. Sie wehrte sich dagegen, daß der Humboldt-Uni „ein Berg von schon jetzt erkennbaren Problemen aufgebürdet wird, was zu Lasten des wissenschaftlichen Ertrags gehen wird“.

Mau ging in seiner schriftlichen Stellungnahme so weit, den Entwurf als „Vernichtungsgesetz“ zu bezeichnen. Er kritisierte, daß die Garantien, die von der Charité stets als Bedingung für eine Zustimmung zur Fusion genannt worden waren, im Gesetzentwurf nicht erfüllt werden. Die Charité-MitarbeiterInnen befürchten, daß die Klinik durch eine schleichende Verlagerung von Betten ans Virchow-Krankenhaus ausgehöhlt wird und von ihr nur noch der traditionsreiche Name bleibt.

Ein Hinweis des Vertreters der Bundesärztekammer, Knuth, machte deutlich, daß die ParlamentarierInnen der Regierungskoalition ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben. Knuth wies darauf hin, daß die in Berlin vorgesehene Trennung von Vorklinikum und Klinikum bei der medizinischen Ausbildung nicht haltbar sei, da der Bundesgesundheitsminister bereits plane, diese Trennung aufzugeben.

Für völlig unrealistisch hielten die Experten auch die anvisierte Halbierung der Medizinstudienplätze auf 600 StudienanfängerInnen pro Jahr. Diese sei willkürlich, kritisierten sie.

Die Expertenanhörung wird am 14. November mit einer zweiten Runde fortgesetzt. Den Parlamentariern wird der Schlußsatz eines auswärtigen Mitglieds der Struktur- und Berufungskommission der Charité, Professor Arnold, noch böse in den Ohren klingen: „Sie werden nicht sagen können, Sie hätten nichts gewußt.“ Dorothee Winden